Aktuelle Neurologie 2018; 45(01): 52-54
DOI: 10.1055/s-0043-123264
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Christian Schmidt
Asklepios Kliniken Schildautal, Neurologie, Seesen
,
Mark Obermann
Asklepios Kliniken Schildautal, Neurologie, Seesen
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Korrespondenzadresse

PD Dr. med. Christian Schmidt
Asklepios Kliniken Schildautal
Neurologie
Karl-Herold-Str. 1
38723 Seesen

Publication History

Publication Date:
06 February 2018 (online)

 

Fallvignette

Ein 17-jähriger Schüler stellte sich wg. allgemeiner Schwäche, Übelkeit, unspezifischen Schwindels, Kopfschmerzen, Verschwommensehens und Photophobie in der internistischen Notaufnahme vor. Im Sommerurlaub (Inland) hatte er sich eine Woche zuvor einen fieberhaften, grippalen Infekt zugezogen. Besondere Ereignisse (z. B. Insektenstiche) waren nicht erinnerlich. Relevante Vorerkrankungen, Vormedikationen oder Drogenabusus bestanden nicht. Trotz körperlicher Schonung hatte sich der Allgemeinzustand bisher nicht verbessert. In der körperlichen Untersuchung fielen bei dem asthenen Patienten nur der reduzierte Allgemeinzustand sowie eine milde zervikale und inguinale Lymphadenopathie auf. Laborchemisch waren eine Thrombopenie (79Tsd/µL), eine Leukopenie (2,3Tsd/µL, insb. Lymphopenie (41 %) bei 74 % Neutrophilen), eine diskrete LDH-Erhöhung (287 U/L) sowie minimal erhöhte Entzündungswerte (CRP 1,3 mg/dL, PCT 0,6 ng/mL) nachweisbar. Die restlichen Parameter der klinischen Chemie waren unauffällig. Aufgrund persistierender Cephalgien wurde der Patient konsiliar-neurologisch vorgestellt. Fokale Defizite ließen sich nicht nachweisen. Aufgrund der Infektkonstellation wurde eine Lumbalpunktion mit vorhergehender zerebraler MR-Bildgebung durchgeführt. Als pathologischer Befund kam eine Diffusionsstörung im Splenium des Corpus callosum zur Darstellung (ebenso in T2 und flau in der FLAIR-Sequenz sichtbar) ([Abb. 1]).

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Abb. 1 cMRT (v.l.n.r.: DWI axial, T2 axial, ADC axial). Punktförmige Läsion des Spleniums des Corpus callosum (siehe Pfeile).
Fragen
  • Welche sind die wichtigsten Differenzialdiagnosen?

  • Wäre die Läsion ausgeprägter, welche neurologischen Symptome könnte man bei einer Läsion in dieser Lokalisation erwarten?

  • Wie lautet die Diagnose?


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Auflösung

Differenzialdiagnosen

  • ischämische Läsion (contra: kein Risikoprofil, ungewöhnliche Lokalisation, kein arterielles Territorium)

  • entzündliche/demyelinisierende Läsion (autoimmun/infektiös/parainfektiös) (pro: klinische und laborchemische Hinweise)

  • PRES-Variante (contra: Läsionen normalerweise weitläufiger im post. Cortex, keine hypertensive Entgleisung, keine prädisponierende Medikation)

  • osmotische Demyelinisierungssyndrome (contra: keine Elektrolytstörungen)

  • posttraumatisch i. S. eines axonalen Schadens (contra: kein Trauma, keine weiteren traumatischen Läsionen)

  • alkoholassoziierte Erkrankungen: Marchiafava-Bignami und Wernicke-Enzephalopathie (contra: kein Alkoholabusus, keine Malnutrition vorbestehend, hinsichtlich Wernicke: Corpora mam. und periaquäduktales Grau nicht betroffen)

  • (para)neoplastisch (pro: Lymphadenopathie, Aszites, LDH-Erhöhung)

  • nach Hypoglykämie (contra: keine Hinweise auf eine Hypoglykämie)

  • Diffusionstörung im Rahmen epileptischer Anfälle oder assoziiert mit Einnahme oder Änderung einer antiepileptischen Medikation (contra: kein Anfall gehabt, keine derartige Medikation)

  • im Rahmen hämolytisch-urämischer Syndrome (contra: laborchemisch kein Anhalt)
    [1]

Es wurde weitere Diagnostik durchgeführt: Eine Echokardiografie war unauffällig. In der Abdomensonografie ließen sich keine signifikanten Organpathologien, jedoch ein diskreter, a. e. entzündlicher Begleitaszites darstellen. Ein MRT des Thorax und Abdomens konnte keine weitere intrathorakale/abdominelle Lymphadenopathie aufzeigen. Extensive mikrobiologische und serologische Labordiagnostik hinsichtlich infektiöser Pathogene (z. B. EBV) verblieben ohne pathologische Befunde. Wegen der diskreten Procalcitonin-Erhöhung und des Fiebers war bereits eine empirische Antibiotikatherapie begonnen worden, aufgrund der Blutbildkonstellation erschien ein viraler Infekt insgesamt aber wahrscheinlicher. Der Liquor war unauffällig (auch keine oligoklonalen Banden nachweisbar). Des Weiteren waren das laborchemische Vaskulitis/Kollagenosenscreening, der Vitaminstatus und die weitere hämatologische Differenzialdiagnostik (Leichtketten, Immunfixation) normal.


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Symptomatologie

Eine Läsion dieser Lokalisation kann bei Rechtshändern ein Diskonnektionssyndrom im Sinne einer Hemiparalexie des linken Halbfeldes hervorrufen, da visuelle Eindrücke des linken Gesichtsfeldes im rechten posterioren Cortex verarbeitet werden, aber eine Transmission in die linke (sprachverarbeitende) Hemisphäre aufgrund der hinteren Balkenläsion gestört sein kann [2] [3]. Ansonsten scheinen derartig isolierte, kleine Spleniumläsionen zumeist keine spezifische Symptomatologie aufzuweisen. Beschrieben ist ein breites unspezifisches Spektrum von Verwirrtheit, Reizbarkeit, o. g. Diskonnektionsphänomenen, Schwindel, epil. Anfällen, Ataxie, Psychosen bis hin zu mutistischen Phänomenen [4] [5].


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Diagnose

Die Symptomatik bildete sich innerhalb einer Woche komplett zurück. Infektwerte und Lymphadenopathie waren rückläufig. Im kurzfristigen Verlaufs-cMRT eine Woche später war die Läsion kaum noch sichtbar ([Abb. 2]).

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Abb. 2 cMRT eine Woche nach dem ersten cMRT (v.l.n.r.: DWI axial, T2 axial, ADC axial; cave: anderes MRT-Gerät im Vergl. zu [Abb. 1]).

In der Synopsis muss nach umfassender Ausschlussdiagnostik folglich von einem parainfektiösen MERS ausgegangen werden.


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Diagnose: MERS (mild encephalopathy with reversible splenial lesion)

Reversible Spleniumläsionen wurden initial insbesondere im Zusammenhang mit epileptischen Anfällen, Einnahme antiepileptischer Medikation, Höhenkrankheit und Trauma berichtet [6]. Es sind auch Assoziationen mit diversen bakteriellen und viralen Infekten i. S. einer parainfektiösen Genese beschrieben [7]. Gemeinsam ist den vereinzelten Fallberichten, dass die Läsionen meist mit nur unspezifischen, milden Symptomen einhergehen und innerhalb weniger Tage bis Wochen reversibel sind [8] [9] [10] [11]. Die Ätiologie bleibt weiterhin ungeklärt. Als Mechanismus wird ein Ödem der Myelinscheiden diskutiert [7]. Warum das Splenium isoliert betroffen ist, ist ebenfalls nicht geklärt. Ebenso unbekannt ist, wie häufig dieses Phänomen bei banalen grippalen Infekten auftritt, denn eine regelhafte zerebrale Bildgebung findet bei derartigen Krankheitsbildern verständlicherweise nicht statt.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das MERS als unspezifisches klinisch-bildmorphologisches Begleitphänomen verschiedener Grundkrankheiten auftreten kann, es eine Ausschlussdiagnose darstellt und die Veränderungen innerhalb kurzer Zeit vollständig reversibel sind.

Erstveröffentlichung

Teile dieser Fallvignette wurden in Kurzform bereits veröffentlicht: Schmidt C, Obermann M. A callosal lesion. Eur Neurol 2017; 78: 318 – 319.


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Interessenkonflikt

PD Dr. Ch. Schmidt gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Prof. Dr. M. Obermann erhielt finanzielle Unterstützung (Reisekosten, Forschungsmittel, Honorare) von Biogen Idec, Novartis, Sanofi/Genzyme, Pfizer, Teva, Lilly, Schwarz, Heel, Allergan, Electrocore, Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).


Korrespondenzadresse

PD Dr. med. Christian Schmidt
Asklepios Kliniken Schildautal
Neurologie
Karl-Herold-Str. 1
38723 Seesen


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Abb. 1 cMRT (v.l.n.r.: DWI axial, T2 axial, ADC axial). Punktförmige Läsion des Spleniums des Corpus callosum (siehe Pfeile).
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Abb. 2 cMRT eine Woche nach dem ersten cMRT (v.l.n.r.: DWI axial, T2 axial, ADC axial; cave: anderes MRT-Gerät im Vergl. zu [Abb. 1]).