Notfallmedizin up2date 2025; 20(01): 9-17
DOI: 10.1055/a-2515-2081
SOP/Arbeitsablauf

SOP Hypo- und hyperglykämische Notfälle

Hypoglycemic and Hyperglycemic Critical Events
Lars Tizek
,
Malte Issleib
 

Blutzuckerstörungen sind eine häufige Arbeitsdiagnose in der präklinischen Notfallmedizin. Bei jeder Vigilanzstörung muss eine rasche Blutzuckermessung durchgeführt werden. Sowohl Hypo- als auch Hyperglykämien können lebensbedrohlich sein. Meist sind Patienten mit Diabetes mellitus betroffen. Kenntnisse über die Pathophysiologie der Glukoseentgleisung sowie über die wachsende Anzahl von Diabetesmedikamenten sind in der Notfallmedizin unerlässlich.


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Abkürzungen

ABCDE: Airway – Breathing – Circulation – Disability – Exposure/Examination
DKA: diabetische Ketoazidose
HHS: hyperosmolares hyperglykämisches Syndrom
KG: Körpergewicht
OAD: orale Antidiabetika
PVK: peripherer Venenverweilkatheter
SGLT-2: Sodium-dependent Glucose Transporter 2


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Hypoglykämie

Die Festlegung eines spezifischen Blutglukosewertes als Grenzwert für eine Hypoglykämie gestaltet sich aufgrund verschiedener physiologischer Anpassungsprozesse schwierig, sodass zum Beweis der Hypoglykämie die Whipple-Trias herangezogen wird:

  • typische Symptome,

  • niedrige Blutglukosekonzentration,

  • rasche Verbesserung der Symptome nach Erhöhung des Blutzuckerspiegels.

Die Hypoglykämie lässt sich in eine milde und eine schwere Form einteilen. Die Einteilung basiert nicht auf spezifischen Blutglukosewerten, sondern allein auf der Möglichkeit der betroffenen Person, die Hypoglykämie eigenständig zu therapieren.

  • Bei der milden Form kann der Patient die Hypoglykämie selbstständig durch Kohlenhydratzufuhr therapieren.

  • Bei der schweren Hypoglykämie ist er bei der Therapie auf Fremdhilfe angewiesen [1].

Allgemeine Faktoren, die eine Hypoglykämie begünstigen, sind eine unzureichende Nahrungsaufnahme, Alkoholkonsum (Alkohol hemmt die hepatische Glukoneogenese [2]) und starke körperliche Belastung [1].

Meist treten Hypoglykämien im Rahmen der Therapie des Diabetes mellitus auf. Häufige Ursachen stellen Dosierungsfehler von Insulinen und oralen Antidiabetika (OAD) dar. Weitere Ursachen können eine unzureichende Nahrungsaufnahme nach Insulinapplikation oder eine Applikation der falschen Insulinsorte (z. B. kurzwirksames anstelle von langwirksamem Insulin) sein. In seltenen Fällen wird Insulin auch zu suizidalen oder homizidalen Zwecken missbraucht.

Sulfonylharnstoffe bewirken über eine Blockade von Kaliumkanälen in den Betazellen des Pankreas eine direkte, glukoseunabhängige Steigerung der Insulinsekretion und können so eine Hypoglykämie hervorrufen [3]. Bei inadäquater Nahrungsaufnahme oder verminderter renaler Ausscheidung kann dieses Risiko bis zu 48 h nach Einnahme bestehen bleiben. Bei sulfonylharnstoffinduzierten Hypoglykämien besteht zudem ein hohes Risiko für rezidivierende Hypoglykämien [2]. Andere OAD weisen ein geringes Risiko für Hypoglykämien auf, da sie keine glukoseunabhängige Steigerung der Insulinsekretion bewirken. Eine Übersicht über Insuline und OAD, einschließlich ihrer Wirkmechanismen und des Hypoglykämierisikos, gibt [Tab. 1].

Tab. 1 Insuline und gebräuchliche orale Antidiabetika.

Wirkstoffgruppe

Wirkstoffe

Wirkmechanismus

Hypoglykämierisiko

Abkürzungen: DDP-4 = Dipeptidylpeptidase-4; GLP-1 = Glucagon-like Peptide 1; SGLT-2 = Sodium-dependent Glucose Transporter 2

kurzwirksame Insulin-Analoga

Insulin aspart

Insulin glulisin

Insulin lispro

  • Steigerung Glukoseaufnahme in Muskel- und Fettzellen, Stimulation Glukoseverwertung (Glykolyse ↑, Glykogensynthese ↑)

  • Auffüllung Fettspeicher (Fettsäuresynthese ↑, Lipogenese ↑)

sehr hoch

Normalinsulin

langwirksame Insulin-Analoga

Insulin degludec

Insulin detemir

Insulin glargin

Sulfonylharnstoffe

Glibenclamid

Glimepirid

  • direkte Insulinsekretion β‑Zelle ↑

hoch

Sulfonylharnstoff-Analoga

Repaglinid

Nateglinid

  • direkte Insulinsekretion β‑Zelle ↑

hoch

Biguanide

Metformin

  • hepatische Glukoneogenese ↓

  • muskuläre Glukoseaufnahme ↑

  • Insulinempfindlichkeit ↑

  • verzögerte enterale Glukoseresorption

gering

SGLT-2-Hemmer

Empagliflozin

Dapagliflozin

  • vermehrte renale Glukoseausscheidung durch Hemmung SGLT-2 im proximalen Tubulus

gering

GLP-1-Analoga

Liraglutid

Exenatid

  • direkte Stimulation am GLP1-Rezeptor: Erhöhung glukoseabhängige Insulinausschüttung, Hemmung Glukagonsekretion

gering

DDP-4-Hemmer

Sitagliptin

  • verstärkte Wirkung GLP-1 durch Hemmung DDP-4, wodurch Abbau von GLP1 verhindert wird

  • glukoseabhängige Inkretinwirkung ↑

gering

α-Glucosidase-Hemmer

Acarbose

  • enterale Glukoseresorption ↓

gering

Schwere Hypoglykämien sind bei Patienten ohne Diabetes selten. Ursächlich können Medikamente, Drogen und Toxine sein, eine überschießende Insulinfreisetzung im Rahmen der Nahrungsaufnahme nach Gastrektomie bzw. bariatrischen Eingriffen (Dumping-Syndrom) oder auch die autonome Insulinproduktion bei einem Insulinom [2].

Cave

Häufig entwickeln sich die Symptome der Hypoglykämie innerhalb von wenigen Minuten.

Zunächst äußert sich die erniedrigte Blutglukosekonzentration durch die Aktivierung des autonomen Nervensystems. Sinkt der Blutzuckerspiegel weiter, zeigen sich neuroglykopenische Symptome. Da das Gehirn für seinen Stoffwechsel vor allem auf Glukose angewiesen ist, reagiert es besonders sensibel auf niedrige Blutzuckerwerte. Die Übersicht listet die möglichen Symptome der Hypoglykämie auf.

Übersicht

Typische Symptome der Hypoglykämie

autonome Symptome

  • Schwitzen

  • Zittern

  • Heißhunger

  • Herzklopfen

  • Unruhe

  • Tachykardie

  • Tremor

neuroglykopenische Symptome

  • Gedankenflucht

  • Wortfindungsstörungen

  • Reizbarkeit, Aggressivität

  • Sehstörungen

  • Kopfschmerzen

  • Schläfrigkeit

  • Koordinationsschwierigkeiten

  • Bewusstseins- und Handlungseinschränkung

  • Konvulsionen, fokale Zeichen

  • Bewusstlosigkeit

  • Koma

Häufiges Auftreten niedriger Blutzuckerwerte kann im Körper adaptive Reaktionen hervorrufen, die zu einer Beeinträchtigung der Hypoglykämiewahrnehmung (Hypoglykämiewahrnehmungsstörung) führen. Infolgedessen können die autonomen Warnsymptome vollständig ausbleiben, wodurch sich die Hypoglykämie unmittelbar durch neuroglykopenische Symptome bemerkbar macht. Die Hypoglykämiewahrnehmungsstörung erhöht das Risiko für schwerwiegendere klinische Verläufe [1]. Etwa ein Viertel der erwachsenen Patienten mit Typ-1-Diabetes leidet unter Störungen der Hypoglykämiewahrnehmung [1] [4].

Cave

Betablocker können aufgrund ihrer sympatholytischen Wirkung autonome Symptome wie Tachykardie, Heißhunger und Tremor unterdrücken, wodurch die Symptomatik der Hypoglykämie kaschiert werden kann [3].

Zusatzinfo

Blutzuckerspiegel

In Deutschland wird zur Angabe des Blutzuckerspiegels sowohl die Maßeinheit Milligramm pro Deziliter (mg/dl) als auch Millimol pro Liter (mmol/l) verwendet. Für die Umrechnung zwischen diesen beiden Einheiten gelten folgende Faktoren:

  • mg/dl × 0,056 = mmol/l

  • mmol/l × 18,02 = mg/dl

Therapie

Alle bewusstseinsgetrübten Notfallpatienten werden systematisch nach dem ABCDE-Schema untersucht, und ein Basismonitoring mit EKG, Sauerstoffsättigung und regelmäßiger Blutdruckmessung wird etabliert ([Abb. 1]).

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Abb. 1 SOP präklinische Versorgung der Hypoglykämie. Bei Kindern und Jugendlichen zur Therapie der schweren Hypoglykämie 0,2–0,3 g Glukose pro kgKG. BZ = Blutzucker; OAD = orale Antidiabetika; PVK = peripherer Venenverweilkatheter

Bei einer milden Hypoglykämie soll die Einnahme von 15–20 g Kohlenhydraten, vorzugsweise in Form von Glukose, erfolgen [1], z. B. 200 ml Fruchtsaft oder Traubenzucker (ein handelsübliches Täfelchen Traubenzucker enthält ca. 5 g Kohlenhydrate). Nach 15 min soll der Blutzuckerspiegel erneut gemessen und bei Bedarf sollen nochmals 15 g Kohlenhydrate aufgenommen werden.

Für die Behandlung der schweren Hypoglykämie sollte die Therapie intravenös, alternativ intraossär, erfolgen. Die S3-Leitlinie „Therapie des Typ-1-Diabetes“ empfiehlt bei der schweren Hypoglykämie die Verabreichung eines Bolus von mindestens 20 g Glukose [1]. Dies kann durch die Gabe von 100 ml Glukose 20% oder 50 ml Glukose 40% erzielt werden. Aufgrund ihrer hohen Osmolarität sollte die Bolusgabe von Glukose 40% über eine schnell laufende Infusion (balancierte Elektrolytlösung) erfolgen. Glukosehaltige Lösung sollte nur über einen sicheren Zugang appliziert werden, da Paravasate zu schweren Weichteilnekrosen führen können.

Merke

Richtwert: 1 g Glukose steigert den Blutzucker um ca. 5 mg/dl (0,3 mmol/l).

Bei Kindern und Jugendlichen wird bei der schweren Hypoglykämie die Gabe von 0,3 g Glukose pro kgKG in der S3-Leitlinie „Diagnostik, Therapie und Verlaufskontrolle des Diabetes mellitus im Kindes- und Jugendalter“ empfohlen [4]. Um in der Notfallsituation Dosierungsfehler zu vermeiden, kann die Gabe von 1 ml/kgKG Glukose 20% erfolgen. Bei einem Gewicht von 20 kg werden 20 ml Glukose 20% verabreicht, was 4 g Glukose entspricht und einer Dosierung von 0,2 g Glukose pro kgKG gleichkommt. Die unverdünnte Verabreichung von Glukose 40% ist bei Kindern nicht empfohlen; sie sollte nur nach Verdünnung mit NaCl oder balancierter Elektrolytlösung erfolgen [5].

Cave

Glukose 5% ist für die Therapie der Hypoglykämie ungeeignet, da sie sich in vivo schnell hypoton zum Serum verhält und somit der Zufuhr von freiem Wasser gleichkommt. Dadurch entstehende Flüssigkeits- und Elektrolytverschiebungen können schwerwiegende Nebenwirkungen zur Folge haben.

Bei fehlendem Therapieansprechen soll nach spätestens 5 min die Glukosegabe wiederholt werden. Nach erfolgreicher Behandlung wird empfohlen, dass die Patienten einen Snack oder eine Mahlzeit zu sich nehmen, um eine wiederkehrende Hypoglykämie zu verhindern [1] [4].

Bei fehlendem intravenösem Zugang zur Glukosegabe kann bei schwerer Hypoglykämie alternativ die Verabreichung von 3 mg Glukagon intranasal oder 1 mg intramuskulär oder subkutan erfolgen [1]. Dies kann beispielsweise bei ausgeprägter Symptomatik bereits durch Laienhelfer mittels Glukagon-Notfallset vor Eintreffen des Rettungsdienstes durchgeführt werden. Glukagon stimuliert die Glykogenolyse und Glukoneogenese und bewirkt somit eine vermehrte Glukoseproduktion [6].

Der Wirkungseintritt ist im Vergleich zur Glukoseapplikation jedoch deutlich verzögert. Laut der Fachinformation tritt der Behandlungserfolg bei nasaler Applikation erst nach etwa 15 min ein [7]. Die Anwendung wird ab einem Alter von 4 Jahren empfohlen. Bei der Applikation erfolgt keine Alters- oder Gewichtsadaptierung [4]. Es wird stets die gesamte Dosis von 3 mg verabreicht, jedoch – anders als in der Notfallmedizin häufig üblich – nicht auf beide Nasenlöcher verteilt, sondern ausschließlich in ein Nasenloch [7]. Nach der Glukagonverabreichung durch Laienhelfer sollte der Rettungsdienst in jedem Fall den Blutzuckerwert überprüfen und bei persistierender schwerer Hypoglykämie zusätzlich eine Bolusgabe von Glukose durchführen. Aufgrund des verzögerten Wirkungseintritts von Glukagon sollte diese Substanz nur in Ausnahmefällen durch den Rettungsdienst angewendet werden.

Take Home Message

Die intravenöse Glukosezufuhr stellt den Goldstandard in der Behandlung der schweren Hypoglykämie in der Notfallmedizin dar.

Zeigt sich trotz adäquater Glukosezufuhr zwar ein Anstieg des Blutzuckers in den Normbereich, jedoch keine klinische Besserung der Symptome, sollte die Diagnose der Hypoglykämie kritisch hinterfragt werden. In solchen Fällen sind alternative Differenzialdiagnosen wie Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma, intrakranielle Blutung, epileptischer Anfall oder Intoxikation systematisch zu evaluieren.


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Weitere Versorgung

Unter bestimmen Voraussetzungen kann der Patient am Einsatzort verbleiben. Eine Ablehnung der Klinikeinweisung ist dann akzeptabel, wenn folgende Voraussetzungen beim Patienten gegeben sind:

  • Es handelt sich um einen bekannten, insulingeführten Diabetes mellitus.

  • Der Patient ist gut geschult, er ist nach der Glukosegabe wach und orientiert, isst und trinkt.

  • Eine adäquate Betreuung ist gewährleistet.

Zeitnah sollte dann aber die Vorstellung beim behandelnden Hausarzt bzw. Diabetologen erfolgen.

Besteht bei dem Patienten einer der folgenden Zustände, soll der Transport ins Krankenhaus erfolgen:

  • Adäquate Betreuung ist nicht gewährleistet.

  • Diabetes mellitus unter OAD-Therapie.

  • Weiter bestehende Restsymptome nach Therapie.

  • Es gab mehrfache Hypoglykämien in der direkten Vergangenheit.

  • Es liegt eine Schwangerschaft vor.

Fallbeispiel

Fall 1

Ein 24-jähriger Altenpfleger wird bewusstlos von seinen Kollegen aufgefunden. Beim Eintreffen des Rettungsdienstes liegt er in Bauchlage auf dem Boden. Ein „schnarchendes“ Atemgeräusch sistiert durch Überstrecken des Kopfes. Die Atemfrequenz beträgt 15/min und die Sauerstoffsättigung 94%. Die Atemgeräusche sind beidseits vesikulär. Der Radialispuls ist kräftig und regelmäßig tastbar, die Rekapillarisierungszeit liegt unter 2 s und die Pulsfrequenz bei 96 /min. Auf Ansprache und Schmerzreiz zeigt der Patient keine Reaktion (Glasgow Coma Scale 3 Punkte). Die Pupillen sind isokor und lichtreagibel. Der gemessene Blutzucker ist mit 26 mg/dl (1,4 mmol/l) deutlich erniedrigt. Auffällig ist ein extremes Schwitzen bei normwertiger Körpertemperatur.

Nach Anlage des peripheren Venenkatheters (PVK) wird Glukose verabreicht. Nach 12 g wird der Patient wacher und unruhiger, springt plötzlich auf, schlägt um sich und entfernt sich dabei den PVK. Er lässt sich nach kurzer Zeit verbal beruhigen und kooperiert zunehmend. Aufgrund einer im Verlauf wiederkehrenden Vigilanzminderung erfolgt die erneute PVK-Anlage. Nach weiteren 8 g Glukose ist der Patient wach, orientiert und kooperativ; eine orale Glukosegabe ist jetzt möglich. Der Blutzucker beträgt nun 133 mg/dl (7,4 mmol/l).

Auf dem Transport ins Krankenhaus berichtet der Patient, er habe sich 30 IE kurzwirksames Insulin gespritzt, danach jedoch vergessen zu essen und zu trinken, da es im Pflegeheim zu einem Notfall kam.


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Hyperglykäme Stoffwechselzustände

Akute hyperglykämische Stoffwechselstörungen präsentieren sich in Form der diabetischen Ketoazidose (DKA) und des hyperosmolaren hyperglykämischen Syndroms (HHS). Auch bei hyperglykämischen Notfällen ist die Festlegung eines exakten Blutglukosegrenzwertes für eine relevante Hyperglykämie schwierig.

Diabetische Ketoazidose

Die DKA ist eine metabolische Entgleisung aufgrund eines absoluten oder relativen Insulinmangels [1]. Dieser Insulinmangel beeinträchtigt den Glukosetransport nach intrazellulär, wodurch ein intrazellulärer Energiemangel entsteht. Zur alternativen Energiegewinnung reagiert der Körper mit einer gesteigerten Lipolyse und in der Folge mit der Bildung von Ketonkörpern aus den freigesetzten Fettsäuren [8]. Die Ansammlung der sauren Ketonkörper bewirkt eine metabolische Azidose. Die DKA kann mit oder ohne hyperosmolare Diurese einhergehen und somit auch vorliegen, wenn keine massive Hyperglykämie besteht [1].

Laborchemisch ist die DKA definiert durch:

  • eine Blutglukose > 250 mg/dl (13,9 mmol/l),

  • den Nachweis von Ketonkörpern im Blut und/oder Urin,

  • einen erniedrigten pH-Wert (arteriell < 7,35, venös < 7,3) sowie

  • einen erniedrigten Serum-Bikarbonat-Wert (< 15 mmol/l) [1].

Von den genannten Parametern lässt sich im Rettungsdienst jedoch häufig nur der Blutzuckerwert bestimmen.

Häufige Ursachen für die DKA sind eine Unterbrechung oder eine inadäquate Anpassung der Insulintherapie, z. B. im Rahmen von Operationen, sowie akute, schwere Erkrankungen. Diese gehen häufig mit einem gesteigerten katabolen Stoffwechsel und einem erhöhten Insulinbedarf einher. Zu den häufigsten Auslösern dieser Stoffwechselsituation zählen fieberhafte Infektionen (Gastroenteritis, Pneumonie, Harnwegsinfekt). Nicht selten tritt die DKA auch als Erstmanifestation eines nicht bekannten Diabetes mellitus in Erscheinung [1]. Die Symptomatik reicht von leichten, unspezifischen Symptomen bis hin zum diabetischen Koma ([Tab. 2]).

Tab. 2 Symptome der diabetischen Ketoazidose.

Symptomkomplex

Symptome im Einzelnen

Abkürzung: DKA = diabetische Ketoazidose

gastrointestinale Symptome

Appetitlosigkeit

Übelkeit und Erbrechen

Bauchschmerzen (Pseudoperitonitis diabetica)

Zeichen der Dehydratation

trockene Mundhöhle

stehende Hautfalten

Muskelkrämpfe (Waden, Bauch)

Blutdruckabfall

Polyurie (primär), Oligo-/Anurie (sekundär)

respiratorische Symptome

tiefe Atemzüge bei normaler Frequenz (Kußmaul-Atmung), wodurch respiratorische Kompensation der Azidose bewirkt wird

nach Azeton riechender Atem

Bewusstseinsveränderungen

bei leichten Verlaufsformen häufig keine Bewusstseinseinschränkungen, bei schwerer DKA hingegen stuporös bis komatös

Zusatzinfo

Sonderform euglykämische Ketoazidose

Unter der Therapie mit SGLT-2-Hemmern kann es zu einer Ketoazidose kommen, bei der die Blutglukose aufgrund der erhöhten renalen Glukoseausscheidung normwertig oder nur geringfügig erhöht ist [9]. SGLT-2-Hemmer blockieren den SGLT-2, der normalerweise Glukose zusammen mit Natrium im proximalen Nierentubulus resorbiert (Natrium-Glukose-Symporter) [3]. Die dadurch verminderten Glukosespiegel führen zu einer reduzierten Insulinausschüttung und gleichzeitig zu einer gesteigerten Glukagonsekretion [10]. Dies begünstigt über eine verstärkte Glukoneogenese die Lipolyse im Fettgewebe und die hepatische Ketonkörperbildung [10]. Zudem führt die reduzierte Natriumreabsorption in der Niere zu einer erhöhten Rückresorption von Ketonkörpern [10]. In bestimmten Risikosituationen kann das metabolische Gleichgewicht zugunsten einer verstärkten Akkumulation von Ketonkörpern verschoben werden, was zur Entstehung einer Ketoazidose führen kann. Zu den Risikosituationen zählen akute Erkrankungen wie Infektionen, Myokardinfarkte oder Schlaganfälle, lange Nüchternphasen, exzessiver Alkoholkonsum sowie Dehydratation [9].

Da SGLT-2-Hemmer zu den prognoseverbessernden Substanzgruppen bei der Therapie der Herzinsuffizienz zählen, werden sie nicht nur zur medikamentösen Therapie des Typ-2-Diabetes, sondern auch zur Behandlung der Herzinsuffizienz eingesetzt [9] [11]. Zusätzlich haben sie nephroprotektive Effekte [3]. Mit der vermehrten Anwendung von SGLT-2-Hemmern wird jedoch auch die euglykämische Ketoazidose als notfallmedizinisch relevantes Krankheitsbild an Bedeutung gewinnen.

Eine vital bedrohliche Ketoazidose kann unter der Einnahme von SGLT-2-Hemmern auch bei Patienten ohne Diabetes mellitus auftreten.


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Hyperosmolares hyperglykämisches Syndrom (HHS)

Die charakteristischen Merkmale des HHS sind

  • eine meist sehr ausgeprägte Hyperglykämie (> 540 mg/dl, 30 mmol/l),

  • eine schwere Hypovolämie sowie

  • eine Hyperosmolarität (Serumosmolarität > 320 mosmol/kgKG) [1].

Ursächlich für das HHS ist ein relativer Mangel an Insulin, der die unzureichende intrazelluläre Aufnahme der Glukose bewirkt. Da die geringen Restmengen an Insulin ausreichend sind, um die Lipolyse zu hemmen und somit eine Ketose zu verhindern, kommt es beim HHS nicht zur Hyperketonämie. Beim HHS bewirkt die ausgeprägte osmotische Diurese einen erheblichen Volumenverlust (Polyurie), während die Patienten oft über ausgeprägten Durst berichten (Polydipsie). Neben der Dehydratation kann es auch zu einem relevanten Elektrolytverlust kommen. Weitere anzutreffende Symptome sind Übelkeit, Erbrechen, Hypotonie und Tachykardie; Bewusstseinsveränderungen bis hin zum Koma sind möglich.

Präklinisch ist es oft schwierig, zwischen HHS und DKA zu unterscheiden, zudem kann auch eine Mischform vorliegen. Das HHS ist häufiger bei Typ-2-Diabetes zu beobachten, kann aber auch bei Typ-1-Diabetes vorkommen. Das HHS entwickelt sich meist langsam über mehrere Tage, während dies bei DKA eher rasch, häufig innerhalb von weniger als 24 h, vonstatten geht. Typischerweise sind die Blutzuckerwerte beim HHS deutlich höher als bei der DKA. Im Rettungsdienst ist eine genaue Differenzierung jedoch nicht zwingend erforderlich, da sich hieraus kein therapeutischer Unterschied ergibt.


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Therapie der diabetischen Ketoazidose und des hyperosmolaren hyperglykämischen Syndroms

Cave

Die DKA und das HHS stellen einen vital bedrohlichen Notfall dar.

In der präklinischen Phase sind die wesentlichen therapeutischen Maßnahmen:

  • die Sicherstellung der Vitalfunktionen und

  • die Flüssigkeitssubstitution zur Behandlung des intravasalen Volumenmangels ([Abb. 2]).

Ziele der Flüssigkeitssubstitution sind

  • die Kreislaufstabilisierung und verbesserte Perfusion kritischer Organe sowie

  • der durch Dilution bewirkte Ausgleich der Azidose und/oder der Hyperglykämie.

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Abb. 2 SOP präklinische Versorgung der diabetischen Ketoazidose und des hyperosmolaren hyperglykämischen Syndroms. Bei Kindern und Jugendlichen Volumenbolus von 10–20 ml NaCl 0,9% oder BEL pro kgKG über 1–2 h (abhängig vom klinischen Patientenzustand). BEL = balancierte Elektrolytlösung; BZ = Blutzucker; DKA = diabetische Ketoazidose; HHS = hyperosmolares hyperglykämisches Syndrom; MAD = mittlerer arterieller Druck; PVK = peripherer Venenverweilkatheter

Zur Volumensubstitution soll eine balancierte Elektrolytlösung verwendet werden. Innerhalb der 1. Stunde wird die Gabe von 1000 ml, bei kritisch kranken Patienten bis zu 2000 ml, empfohlen [1] [8]. Insbesondere bei kritischen Zuständen sollten davon 500 ml innerhalb der ersten 10–15 min verabreicht werden [12]. Bei schweren Verläufen kann der Gesamtvolumenbedarf bis zu 15% des Körpergewichts betragen [1]. Bei Kindern und Jugendlichen wird für die initiale Therapie des Flüssigkeitsdefizits die Verwendung von NaCl 0,9% empfohlen. Dabei sollen, abhängig vom klinischen Zustand des Patienten, 10–20 ml/kgKG NaCl 0,9% innerhalb von 1–2 h verabreicht werden [4]. Alternativ kann die Flüssigkeitssubstitution aber auch bei Kindern und Jugendlichen mit einer balancierten Elektrolytlösung wie Jonosteril oder Sterofundin erfolgen [13].

Ohne Kenntnis des Säure-Basen-Haushalts und des Elektrolytstatus sollte im Rettungsdienst – ebenso wie in der Klinik – auf die Gabe von Insulin, Kalium und Bikarbonat verzichtet werden, da dies zu schweren Komplikationen wie Herzrhythmusstörungen, Hirnödemen oder Hypokaliämien führen kann [1] [4].

Merke

Neben der Flüssigkeitssubstitution ist es entscheidend, den Patienten zügig in eine geeignete Klinik mit intensivmedizinischer Versorgungsmöglichkeit zu transportieren.

Fallbeispiel

Fall 2

Ein junger Mann verständigt den Rettungsdienst, da sein 23-jähriger Mitbewohner zunehmend bewusstseinsgetrübt und in einem schlechten Allgemeinzustand sei. Am gestrigen Tag wurde auf einer Party ausgiebig Cannabis konsumiert und Alkohol getrunken. Unter dem Verdacht auf eine Drogenintoxikation werden ein Notarzteinsatzfahrzeug und ein Rettungswagen alarmiert.

Beim Eintreffen wird der Patienten im Bett liegend vorgefunden. Er hat sich mehrfach erbrochen, klagt über starke Übelkeit und Bauchschmerzen. Er ist blass und kaltschweißig. Die Atemwege sind frei. Die Atemgeräusche sind beidseits vesikulär, jedoch fällt eine ausgeprägte Hyperventilation auf. Die Sauerstoffsättigung beträgt 99%. Der Blutdruck liegt bei 135/70 mmHg und die Herzfrequenz bei 107/min. Der Patient ist ansprechbar, jedoch schläfrig (Glasgow Coma Scale 13 Punkte). Auffällig ist ein deutlicher Azetongeruch. Der Blutzuckerwert liegt über dem messbaren Bereich („high“).

Der Patient berichtet, seit seiner Kindheit an einem Typ-1-Diabetes zu leiden. Seit gestern Morgen habe er aufgrund von partybedingten Complianceproblemen kein Insulin mehr eingenommen. Angesichts der Symptome und der Anamnese wird eine DKA vermutet. Nach Anlage des PVK wird mit der Flüssigkeitssubstitution begonnen. Zur Linderung der Übelkeit wird Dimenhydrinat verabreicht. Der Patient wird unter Monitoring in den Schockraum des nahegelegenen Maximalversorgers transportiert, wo sich die Verdachtsdiagnose durch die Labor- und Blutgasanalyse bestätigt.

Kernaussagen
  • Die Hypoglykämie, die diabetische Ketoazidose (DKA) und das hyperosmolare hyperglykämische Syndrom (HHS) sind häufige Komplikationen bei Patienten mit Diabetes mellitus. Eine schnelle, konsequente und leitliniengerechte Therapie dieser Stoffwechselstörungen ist wichtig, da sie potenziell lebensbedrohlich sein können.

  • Bei jeder Störung der Vigilanz muss eine zeitnahe Bestimmung des Blutzuckerwertes durchgeführt werden.

  • Die Diagnose der Hypoglykämie basiert auf der Whipple-Trias: hypoglykämische Symptomatik, niedriger Blutglukosewert, rasche Besserung der Symptomatik nach Anheben des Blutglukosespiegels.

  • Die Behandlung der Hypoglykämie erfolgt durch die Verabreichung von Kohlenhydraten. Dabei variiert die Dosierung und Art der Anwendung je nach Schweregrad der Hypoglykämie.

  • Bei schwerer Hypoglykämie sollen Erwachsene einen Bolus von 20 g Glukose verabreicht bekommen. Bei Kindern und Jugendlichen wird ein Bolus von 0,2–0,3 g Glukose pro kgKG empfohlen.

  • Bei der DKA und dem HHS stellt die Flüssigkeitsgabe präklinisch die wichtigste therapeutische Maßnahme dar.

  • Zur Vermeidung von Therapiekomplikationen sollte ohne Kenntnisse des Säure-Basen- und Elektrolythaushalts keine Gabe von Insulin, Kalium oder Bikarbonat bei der DKA und dem HHS erfolgen.


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Zitierweise für diesen Artikel

Notfallmedizin up2date 2025; 20: 9–17. DOI: 10.1055/a-2515-2081
Dieser Beitrag ist eine aktualisierte Version des Artikels: Tizek L, Issleib M. Hypo- und Hyperglykämische Notfälle. Notarzt 2024; 40: 332–338. DOI: 10.1055/a-2359-8799


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Dr. med. Lars Tizek


2013–2019 Studium der Humanmedizin an der Universität des Saarlandes. 2020–2022 Arzt in Weiterbildung an der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie am Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg. Seit 2022 Arzt in Weiterbildung an der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Zusatzbezeichnung Notfallmedizin.

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Dr. med. Malte Issleib


Studium der Hunmanmedizin in Hamburg. Oberarzt und Koordinator Notfallmedizin an der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Zusatzbezeichnung Notfallmedizin und spezielle Intensivmedizin. Aktiver LNA in der Gruppe der leitenden Notärzte der Feuerwehr Hamburg.

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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Dr. med. Lars Tizek
Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Martinistraße 52
20246 Hamburg
Deutschland   

Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
26. Februar 2025

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Abb. 1 SOP präklinische Versorgung der Hypoglykämie. Bei Kindern und Jugendlichen zur Therapie der schweren Hypoglykämie 0,2–0,3 g Glukose pro kgKG. BZ = Blutzucker; OAD = orale Antidiabetika; PVK = peripherer Venenverweilkatheter
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Abb. 2 SOP präklinische Versorgung der diabetischen Ketoazidose und des hyperosmolaren hyperglykämischen Syndroms. Bei Kindern und Jugendlichen Volumenbolus von 10–20 ml NaCl 0,9% oder BEL pro kgKG über 1–2 h (abhängig vom klinischen Patientenzustand). BEL = balancierte Elektrolytlösung; BZ = Blutzucker; DKA = diabetische Ketoazidose; HHS = hyperosmolares hyperglykämisches Syndrom; MAD = mittlerer arterieller Druck; PVK = peripherer Venenverweilkatheter