Notfallmedizin up2date 2025; 20(01): 7
DOI: 10.1055/a-2489-6410
Studienreferate

Können diagnostische Entscheidungsunterstützungssysteme die Diagnosequalität in der Notaufnahme verbessern?

Rezensent(en):
Hanna Schröder
Hautz WE. et al.
Diagnoses supported by a computerised diagnostic decision support system versus conventional diagnoses in emergency patients (DDX-BRO): a multicentre, multiple-period, double-blind, cluster-randomised, crossover superiority trial.

Lancet Digit Health 2025;
7: e136-e144
DOI: 10.1016/S2589-7500(24)00250-4
 

    Diagnosefehler in Form von falschen oder verzögerten Diagnosestellung stellen ein relevantes Problem im Gesundheitswesen dar und sind mit erhöhter Sterblichkeit assoziiert. Die vorgestellte Arbeit untersuchte, ob computergestützte diagnostische Entscheidungsunterstützungssysteme (CDDSS) die Diagnosequalität in Notaufnahmen verbessern können.


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    In einer methodisch aufwändigen multizentrischen, doppelblinden, cluster-randomisierten Crossover-Studie wurden in 4 Schweizer Notaufnahmen 1204 Patienten eingeschlossen, von denen 559 eine Versorgung ergänzt um die Anwendung des CDDSS (Isabel Pro, UK) erhielten. Als Einschlusskriterien wurden volljährige Patienten mit Bauchschmerzen, Fieber unklarer Ursache, Synkope oder unspezifischen Symptomen festgelegt, da bei diesen Beschwerden aus einer Vielzahl von Krankheitsbildern resultieren können und besonderen Raum für diagnostische Fehler bieten.

    Die Notaufnahmeärzte gaben alle relevanten Symptome und Informationen zu mindestens 2 Zeitpunkten der Patientenversorgung in das System ein und erhielten Vorschläge für mögliche Differenzialdiagnosen in Listenform. 14 Tage nach Entlassung wurden die Patienten erneut durch das Studienteam kontaktiert. Der primäre Endpunkt bestand in einem kombinierten Score, der das Risiko einer verminderten diagnostischen Qualität anzeigte. Ein positiver Score bestand bei mindestens einem positiven Kriterium: Tod innerhalb von 14 Tagen oder erneute ungeplante medizinische Versorgung (z. B. Wiederaufnahme) nach Entlassung aus der Notaufnahme; unerwartete Aufnahme auf die Intensivstation < 24 h nach Krankenhausaufenthalt; Diskrepanz zwischen Entlassdiagnose der Notaufnahme und der letzten Diagnose 14 Tage später. Die Score-Kriterien wurden als sekundäre Endpunkte ergänzend einzeln betrachtet.

    Die Ergebnisse zeigten keinen signifikanten Unterschied zwischen CDDSS-unterstützten Diagnosen (18% positiver Risiko-Score) und nicht unterstützten Diagnosen (18% positiver Risiko-Score) hinsichtlich des Risikos für verminderte Diagnosequalität (adjustierte Odds Ratio 0,96; 95%-KI 0,71–1,3). Auch das Auftreten schwerwiegender unerwünschter Ereignisse unterschied sich nicht in den Gruppen (46 vs. 48); keines der Ereignisse wurde als mit dem Studienverfahren zusammenhängend bewertet. In der Subgruppenanalyse der diagnostischen Diskrepanz konnte unerwarteterweise für weibliche Patientinnen in der Interventionsgruppe eine signifikant geringere Diskrepanz erfasst werden, welche in der männlichen Gruppe nicht auftrat. Dies beziehen die Autoren darauf, dass bei Frauen häufiger unspezifische Symptome auftreten, die schwerer zu diagnostizieren seien als bei Männern, und verweisen auf zukünftigen Forschungsbedarf.

    Der Einsatz eines CDDSS in Notaufnahmen führte in dieser Studie nicht zu einer Verbesserung der Diagnosequalität im Vergleich zum üblichen diagnostischen Prozess.

    In dem von Kostopoulou und Delaney publizierten Kommentar zu der Arbeit (Kostopoulou O, Delaney B. AI for medical diagnosis: does a single negative trial mean it is ineffective? Lancet Digit Health 2025; 7(2): e108–e109. DOI: 10.1016/j.landig.2025.01.005) wird betont, dass die Verbesserung der medizinischen Diagnose mittels KI-gestützter Entscheidungsunterstützungssysteme außerhalb von Simulationen schwer zu untersuchen ist. Neben verschiedenen methodischen Aspekten wird insbesondere der Zeitpunkt der CDDSS-Intervention (nach vollständiger Anamnese und Untersuchung) als im diagnostischen Prozess zu spät kritisiert.

    Fazit

    Es besteht Einigkeit über den weiteren Forschungsbedarf, um passende Anwendungskontexte zu identifizieren, Wirksamkeit und Effizienz von CDDSS sowie den optimalen Zeitpunkt für die CDDSS-Konsultation zu untersuchen und dies mit den richtigen Messinstrumenten zur Bewertung der diagnostischen Qualität durchzuführen. Die weitere Forschung zur Optimierung von KI-gestützten Tools in der Medizin und deren sorgfältige Evaluation ist erforderlich, um das Potenzial dieser Technologien voll auszuschöpfen.

    Dr. med. Hanna Schröder, Aachen


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    Publikationsverlauf

    Artikel online veröffentlicht:
    26. Februar 2025

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