Zeitschrift für Palliativmedizin 2025; 26(01): 14-16
DOI: 10.1055/a-2481-0089
Forum

Gezielte Sedierung zur Leidenslinderung

Toolbox zur Unterstützung des Gebrauchs sedierender Medikamente in der spezialisierten Palliativversorgung
Manuela Schneider
1   Uniklinikum Erlangen, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Palliativmedizinische Abteilung, Erlangen
,
Alexander Kremling
2   Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Profilzentrum Gesundheitswissenschaften, Halle (Saale)
,
Sabine H. Krauss
3   Ludwig-Maximilians-Universität München, LMU Klinikum München, Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin, München, Deutschland
,
Kerstin Ziegler
4   Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschafts- und Medizinstrafrecht, Erlangen
,
Saskia Kauzner
1   Uniklinikum Erlangen, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Palliativmedizinische Abteilung, Erlangen
,
für das iSedPall Konsortium› Author Affiliations
 

Anwendungskontext und Zielgruppe der Toolbox

Im Fall von unerträglichem Leiden kann eine gezielte Bewusstseinsreduzierung durch die Gabe sedierender Medikamente die einzige Möglichkeit der Leidenslinderung darstellen. Eine gezielte Sedierung als medizinische Maßnahme ist dabei häufig mit besonderen medizinischen (z. B. Dosierung proportional zum Leiden ohne Lebenszeitverkürzung), rechtlichen (z. B. Aufklärung und Einwilligung zu einem adäquaten Zeitpunkt) und ethischen (z. B. bei der Indikation „Existenzielles Leiden“) Herausforderungen für die Behandelnden verbunden. Um den Behandlungsteams in der spezialisierten Palliativversorgung (SPV) praktische Handlungshilfen für den Gebrauch sedierender Medikamente zur Verfügung zu stellen, wurde im Verbundprojekt iSedPall eine „Toolbox“ entwickelt ([ Abb. 1 ]) [1]. Die darin bereitgestellten Materialien unterstützen die Umsetzung der im Vorprojekt SedPall entwickelten Handlungsempfehlung „Einsatz sedierender Medikamente in der spezialisierten Palliativversorgung“ in der Praxis [1]. Längerfristig soll so die Handlungs- und Rechtssicherheit der Mitarbeitenden beim Einsatz sedierender Medikamente gestärkt werden. Die Materialien stellen sozusagen eine Übersetzung der Handlungsempfehlungen in die klinische Praxis dar und sind daher nur im Zusammenhang mit diesen zu sehen.

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Abb. 1 Quelle: www.dgpalliativmedizin.de/isedpall.

Die Toolbox richtet sich an multiprofessionelle Behandlungsteams der SPV – sowohl im ambulanten als auch stationären Bereich –, die gezielte Sedierung zum Zweck der Leidenslinderung bei schwerstkranken Menschen durchführen, deren Erkrankung weit fortgeschritten und nicht mehr heilbar ist. Sie umfasst auch Material für Patient*innen und Angehörige, welches bei Bedarf als Informations- und Begleitmaterial ausgehändigt werden kann.


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Entstehungshintergrund

Die Toolbox wurde im Sinne einer komplexen Intervention in Zusammenarbeit eines multiprofessionellen, interdisziplinären Konsortiums entwickelt – bestehend aus den Palliativmedizinischen Abteilungen des Uniklinikums Erlangen, des LMU Klinikums München und des Universitätsklinikums Augsburg, des Lehrstuhls für Medizinethik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und des Lehrstuhls für Medizinrecht der FAU Erlangen-Nürnberg. Zudem wurden klinische Stakeholder, Angehörige und Betroffene, Hospizbegleiter*innen sowie interessierte Bürger*innen als Vertretung der Öffentlichkeit intensiv in den Entwicklungsprozess eingebunden, um den Abgleich zwischen Theorie und Praxis sicherzustellen und die Perspektive von Nichtprofessionellen und potenziellen Nutzer*innen ausreichend zu berücksichtigen.

Die komplexe Intervention wurde über einen Zeitraum von 9 Monaten in 4 Einrichtungen der SPV (ambulant und stationär) pilotiert und auf Machbarkeit getestet. Auf Grundlage der Pilotierungsergebnisse wurden die einzelnen Materialien überarbeitet und anschließend in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) professionell gestaltet und auf deren Internetseite veröffentlicht.

Der iSedPall-Forschungsverbund wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung über einen Zeitraum von 3 Jahren gefördert (01GY2020A-C).


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Die Inhalte der Toolbox im Einzelnen

Für folgende 5 Themenbereiche wurden Handlungshilfen erarbeitet:

  1. arzneimittelbezogene Entscheidungshilfen

  2. Aufklärung und Einwilligung

  3. Dokumentation

  4. ethisch herausfordernde Situationen

  5. Informationen für Patient*innen und Angehörige

Zur besseren Orientierung, in welchen Fällen die Verwendung der Toolbox sinnvoll ist, steht ein Screeningtool bereit. Anhand eines Entscheidungsbaums mit 3 möglichen Szenarien kann geprüft werden, ob relevantes Material zur Verfügung steht:

  1. Ein neues, potenziell sedierendes Medikament soll verabreicht werden,

  2. eine Bewusstseinsreduktion auf RASS-PAL < 0 wird erwogen oder

  3. ein möglicherweise medikamentös bedingtes reduziertes Bewusstsein liegt bereits vor.

Arzneimittelbezogene Entscheidungshilfen

Als arzneimittelbezogene Entscheidungshilfen wurden einerseits eine Warnliste und anderseits Dosisempfehlungen entwickelt. Die Warnliste zielt darauf ab, evidenzbasiert unerwünschte Sedierungseffekte potenziell sedierender Medikamente abzuschätzen und das Bewusstsein für solche Effekte zu schärfen. Sie beschreibt für verschiedene Medikamente, ab welcher Dosierung es jeweils bei einer/einem definierten „Standardpatientin/Standardpatienten“ zu sedierenden Effekten kommen kann. Es sind auch Medikamente aufgeführt, die explizit nicht für eine gezielte Sedierung empfohlen werden, die jedoch ebenfalls zu einer (unerwünschten) Sedierung führen können.

Die Dosisempfehlungen hingegen bieten Hilfestellung bei medikamentösen Entscheidungen für den Start einer gezielten Sedierung. Gemäß der Handlungsempfehlung zum Einsatz sedierender Medikamente, laut der zunächst mit einer leichten bis mäßigen Sedierung (RASS-PAL –1 bis –2) gestartet werden soll, sind die Dosisempfehlungen auf eine leichte Sedierung bei einer/einem definierten „Standardpatientin/Standardpatienten“ ausgerichtet, ausgehend von der/dem ein individuell angepasstes Vorgehen abgeschätzt werden kann.


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Aufklärung und Einwilligung

Zur Unterstützung des Behandlungsteams in Fragen der Aufklärung und Einwilligung in die gezielte Sedierung wurde eine Checkliste für das Aufklärungsgespräch sowie ein Aufklärungsbogen erarbeitet. Die Aufklärungsmaterialien können im Gespräch mit der/dem Betroffenen selbst oder den Angehörigen bzw. der rechtlichen Stellvertretung genutzt werden. Mithilfe der Checkliste zum Aufklärungsgespräch kann dieses strukturiert und sichergestellt werden, dass alle relevanten Aspekte tatsächlich besprochen werden, wie z. B. Wirkung, Risiken und Nebenwirkungen des geplanten Medikamentes, geplante Aufwachversuche, Verlauf der Pflege und besondere Wünsche der/des Betroffenen während der Sedierung. Der Aufklärungsbogen als Ergänzung zum Aufklärungsgespräch enthält Grundinformationen zur gezielten Sedierung und kann sowohl vor als auch nach dem Gespräch an die Patientin/den Patienten bzw. die rechtliche Stellvertretung ausgehändigt werden.


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Dokumentation

Der Dokumentationsbogen stellt eine Empfehlung zur Dokumentation der medizinisch, ethisch und rechtlich relevanten Aspekte bei der Vorbereitung und Durchführung einer gezielten Sedierung dar. Durch seine handlungsleitende Konzeption soll er Orientierung während des gesamten Sedierungsprozesses bieten. Der Dokumentationsbogen kann die Kommunikation innerhalb des Teams und zwischen den verschiedenen Schnittstellen im Versorgungsnetzwerk unterstützen und bindet alle Professionen ein. Einrichtungsspezifisch kann entschieden werden, einzelne Items alternativ in der Routinedokumentation zu erfassen. Doppeldokumentation ohne Gewinn für die Teamprozesse sollte vermieden werden.


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Ethisch herausfordernde Situationen

Im Zusammenhang mit einer gezielten Sedierung können ethisch herausfordernde Entscheidungssituationen auftreten, wie z. B. die Indikationsstellung bei existenziellem Leid, der Umgang mit einem geäußerten Wunsch nach Sedierung, um das eigene Leben zu beenden, oder die Sedierung im ambulanten Kontext. Für insgesamt 6 typische Situationen wurden jeweils eine Checkliste zur Unterstützung der Entscheidungsfindung und eine kurze medizinethische Analyse erstellt. Das Material kann zur Vorbereitung und Durchführung von Teambesprechungen oder Ethikfallberatungen zu einem entsprechenden Fall herangezogen werden oder auch bei retrospektiven Fallbesprechungen zum Einsatz kommen.


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Informationen für Patient*innen und Angehörige

Eine Broschüre für Patient*innen und Angehörige informiert über die notwendige Indikation (Mittel zur Leidenslinderung) und die für Deutschland geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen für eine gezielte Sedierung. Sie zielt auch darauf ab, Missverständnissen und ggf. Konflikten durch falsche Vorstellungen über mögliche Behandlungsoptionen vorzubeugen. Die Informationsbroschüre „Sedieren am Lebensende? Möglichkeiten und Grenzen“ kann kostenlos in gedruckter Form über die Geschäftsstelle der DGP bezogen werden oder als digitale Version heruntergeladen werden. Ergänzend ist eine Handreichung für Zugehörige erarbeitet worden, welche die Patientin/den Patienten während der gezielten Sedierung begleiten. Die Handreichung soll Unsicherheiten im Umgang mit der sedierten Person auffangen. Sie kann immer dann verwendet werden, wenn nach Ansicht des Behandlungsteams zusätzlicher Informationsbedarf besteht.

Info

Sämtliche Materialien der Toolbox sind auf der Website der DGP als Download verfügbar: https://www.dgpalliativmedizin.de/isedpall

Geben Sie uns Feedback!

Sie möchten die „Toolbox Sedierende Medikamente“ in Ihrer klinischen Praxis in Zukunft nutzen und Ihre Erfahrungen diesbezüglich mit uns teilen? Dann freuen wir uns über Ihre Kontaktaufnahme:

Prof. Dr. med. Christoph Ostgathe

Uniklinikum Erlangen

Palliativmedizinische Abteilung

palliativmedizin@uk-erlangen.de


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Interessenkonflikt

Die Autor*innen geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Saskia Kauzner
Palliativmedizinische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen
Werner-von-Siemens Straße 34
91052 Erlangen
Deutschland   

Publication History

Article published online:
03 January 2025

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Abb. 1 Quelle: www.dgpalliativmedizin.de/isedpall.