Gesundheitswesen 2025; 87(01): 62-68
DOI: 10.1055/a-2365-1400
Originalarbeit

Erkenntnisse aus der Durchführung des Masernschutz-Gesetzes nach den ersten drei Jahren seit Einführung – Daten aus Darmstadt Dieburg (Hessen)

Findings from the Implementation of the Measles Protection Act after the First Three Years of its Introduction – Data from Darmstadt Dieburg (Hesse)
1   Infektionsschutz, Hygiene und Umwelt, Gesundheitsamt Darmstadt Dieburg, Darmstadt, Germany
,
Regina Fertig
1   Infektionsschutz, Hygiene und Umwelt, Gesundheitsamt Darmstadt Dieburg, Darmstadt, Germany
,
Raphaela Heinrich
1   Infektionsschutz, Hygiene und Umwelt, Gesundheitsamt Darmstadt Dieburg, Darmstadt, Germany
,
Roswitha Reisert
1   Infektionsschutz, Hygiene und Umwelt, Gesundheitsamt Darmstadt Dieburg, Darmstadt, Germany
,
Jürgen Krahn
3   Amtsleitung, Gesundheitsamt Darmstadt Dieburg, Darmstadt, Germany
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Hintergrund Durch die Änderung des Infektionsschutzgesetzes im Sinne des Masernschutzes vom 1. März 2020 wurden verschiedene Einrichtungsformen zur Meldung ungeimpfter bzw. nicht-immuner Personen verpflichtet. Das Gesundheitsamt der Stadt Darmstadt und des Landkreises Darmstadt Dieburg stellte sich die Frage, wie die gesetzlichen Vorgaben durch die Einrichtungen umgesetzt wurden und welche Aussagekraft die erhobenen Daten in Bezug auf die jeweilige Zielgruppe hatten.

Methodik Die Meldungen aus den Einrichtungen und die Rückmeldung der daraufhin durch das Gesundheitsamt angeschriebenen Betroffenen bzw. deren Erziehungsberechtigten in den ersten drei Jahren seit Einführung wurden gesichtet und deskriptiv ausgewertet. Die Datenbasis wurde unterteilt in die Gruppen (1) betreut in einer Schule, (2) betreut in sonstiger Kindergemeinschaftseinrichtung, (3) untergebracht in einer kommunalen Unterkunft für Geflüchtete und (4) Beschäftigte in einer dieser oder in einer medizinischen Einrichtung (§§23, 33, 36 Infektionsschutzgesetz, IfSG).

Ergebnisse Aus Schulen wurden 1527 Kinder (2,5% aller Schüler:innen) mit unvollständiger bzw. unbekannter Immunität gegen Masern gemeldet. 70% davon legten nach dem Anschreiben Unterlagen zur ausreichenden Immunität vor, so dass auf weniger als 1% (0,76%) Kinder ohne Masernschutz geschlossen werden konnte. Aus den sonstigen Kindergemeinschaftseinrichtungen wurden 17 Kinder mit unvollständiger bzw. unbekannter Immunität gegen Masern gemeldet. Aus den Unterkünften für Geflüchtete wurden insgesamt 3986 Personen gemeldet, wovon 566 (14,2%) nach Anschreiben einen vollständigen Nachweis vorlegten. Aus den Einrichtungen nach §§23, 33 und 36 wurden insgesamt 17 Beschäftigte mit unvollständiger bzw. unbekannter Masernimmunität gemeldet. Die Gesamtzahl der beiden letztgenannten Gruppen in diesem Zeitraum konnte nicht sicher abgeschätzt werden.

Schlussfolgerung Der Meldepflicht wurde sehr unterschiedlich nachgekommen. Über den Impfstatus der verschiedenen Personengruppen konnte am ehesten, wenn auch nur begrenzt, in Bezug auf die Schüler:innen eine Aussage getroffen werden. Für die übrigen Gruppen konnte keine Aussage getroffen werden, da erstens nicht sicher von einer umfänglichen Meldung durch die Einrichtungen ausgegangen werden konnte und zweitens die Grundgesamtheit aller meldepflichtigen Personen in diesen Bereichen nicht bekannt war.


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Abstract

Background When the Measles Protection Act as part of the Infection Protection Act came into force 2020, various types of facilities were obliged to report. The public health department of the city of Darmstadt and the district of Darmstadt Dieburg aimed to find out to what extent these facilities have complied with the reporting obligation and whether any conclusions could be derived from the data on the vaccination status of the respective group of people.

Method Reports from the facilities and the feedback from those affected (or their legal guardians) were reviewed and evaluated descriptively. They were divided into groups (1) schoolchildren, (2) children from other childcare facilities, (3) those in municipal accommodation for refugees and (4) those employed in one of these or in a medical facility (§§23, 33, 36 German Infection Protection Act).

Results 1,527 children (2.5% of all pupils in Darmstadt Dieburg) with incomplete or unknown immunity to measles were reported from 138 schools. 70% of these provided documentation of sufficient immunity after receivng the letter from the public health department, so that it can be concluded that less than 1% (0.76%) of children were without measles protection. 17 children with incomplete vaccination status were reported from the other childcare facilities. 3,986 people with incomplete vaccination status were reported from the refugee accommodation facilities, of which 566 (14.2%) submitted complete proof after receiving a letter from the public health department. A total of 17 employees were reported from the facilities according to §§23, 33 and 36 Infection Protection Act.

Conclusion The reporting obligation was met in very different ways by different facilities. No statement could be made about the vaccination status of the various groups of people affected by the Measles Protection Act, as it could not be assumed with certainty that the facilities had reported comprehensively.


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Einleitung

Masern sind eine weltweit verbreitete, hochkontagiöse akute Viruserkrankung. Der Mensch ist das einzige Erregerreservoir [1]. Eine wirksame Schutzimpfung steht zur Verfügung und wird in Deutschland als Kombinationsimpfstoff angeboten (Masern-Mumps-Röteln ggf. mit Varizellen) [2]. Die ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt die zweimalige Impfung mit Kombinationsimpfstoff (Masern-Mumps-Röteln und Varizellen) ab dem vollendeten 11. Lebensmonat mit einem Abstand von 3–4 Monaten [3].

Weltweit wird von ungefähr 100 000 Toten jährlich aufgrund von Masern ausgegangen [4]. In Deutschland erkrankten seit 2001 zwischen 10 (2021) und 6198 (2001) Personen jährlich [5] ([Abb. 1]). 2015 kam es in Deutschland zu ausgeprägten Ausbruchsszenarien [5]. Deutschland wurde daraufhin von der WHO erneut als Endemie-Gebiet für einheimische Masernverbreitung definiert [6].

Zoom Image
Abb. 1 Dem RKI übermittelte Masernfälle in Deutschland in den Jahren 2001–2023 (Survstat@RKI 2.0), Abfrage von 02/2024.

Vor diesem Hintergrund wurde in Deutschland 2020 das sogenannte Masernschutzgesetz (Infektionsschutzgesetz, IfSG: § 20 Abs. 8) erlassen, das schließlich am 1. März 2020 in Kraft trat. Demnach mussten Personen, die nach dem 31.12.1970 geboren waren und in Kindergemeinschaftseinrichtungen betreut wurden, einen ausreichenden Impfschutz haben oder über einen sonstigen Immunitätsnachweis verfügen. Das gleiche galt für Personen, die in Gemeinschaftseinrichtungen (IfSG § 36 Abs. 4) untergebracht waren – und darüber hinaus für Beschäftigte der erstgenannten Einrichtungen (IfSG § 33 und § 36 Abs. 4 IfSG) sowie für die Beschäftigten in medizinischen Einrichtungen wie Krankenhäusern und Arztpraxen. Der Nachweis war bei der Leitung der jeweiligen Einrichtung zu erbringen. Blieb dieser aus, war die Leitung zur Meldung an das Gesundheitsamt verpflichtet.

Nachfolgend werden die im Gesundheitsamt der Stadt Darmstadt und des Landkreises Darmstadt Dieburg eingetroffenen Meldungen vorgestellt mit dem Ziel, die folgenden Fragen zu beantworten:

Kamen die zur Meldung verpflichteten Einrichtungen der Meldepflicht nach? Inwiefern konnten die durch die Meldung erhobenen Daten genutzt werden, um die Durchimpfungsrate bzw. die Immunität in verschiedenen Personengruppen (betreut in IfSG §33 Einrichtungen, untergebracht in IfSG §36 Einrichtungen, beschäftigt in IfSG §§ 33, 36, 23 Einrichtungen) zu beurteilen?


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Methodik

Untersuchungsgebiet

Die Darstellung erfolgt auf Grundlage von Meldedaten der Gesundheitsverwaltung Stadt Darmstadt und Landkreis Darmstadt-Dieburg. Darmstadt ist eine kreisfreie Großstadt mit knapp 160 000 Einwohner:innen im Süden Hessens, die vom Landkreis Darmstadt-Dieburg mit knapp 300 000 Einwohner:innen nahezu umschlossen wird.


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Datenmanagement

Die Meldungen wurden nach Entgegennahme dokumentiert entsprechend der Zugehörigkeit zu (1) Kinder und Jugendliche betreut in einer Schule, (2) Kinder und Jugendliche betreut in sonstiger Kindergemeinschaftseinrichtung (Kindertagesstätte/KiTa, Kindergarten, Krippe etc.), (3) Personen, die untergebracht sind in einer kommunalen Unterkunft sowie (4) Beschäftigte in einer unter (1)-(3) beschriebenen Einrichtung oder in einer medizinischen Einrichtung.

Grundsätzlich wurde auf alle Meldungen zunächst per teil-standardisiertem Anschreiben reagiert. Ziel war die Vorlage der Impfdokumentation oder eines Immunitätsnachweises oder eines ärztlichen Kontraindikationsnachweises (für die Impfung). Als Kontraindikation zählten laut Fachinformation die Überempfindlichkeitsreaktion nach einer früheren Verabreichung des Impfstoffes, eine schwere Immundefizienz oder eine Schwangerschaft [7]. Vorgelegte Dokumentationen wurden bewertet. Bei adäquater Vorlage wurde der Vorgang beendet. Fristverlängerungen konnten auf Nachfrage im Einzelfall im Ermessen der Sachbearbeiter:innen gewährt werden. Die gewährte Fristverlängerung richtete sich nach den medizinischen und organisatorischen Gegebenheiten im Einzelfall. Bei ausbleibender Rückmeldung erfolgte in der Regel die Weiterleitung an die zuständige Ordnungsbehörde zur Einleitung eines Ordnungswidrigkeitsverfahrens.


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Statistische Auswertung

Die Meldungen wurden in Excel (Version 2016) dokumentiert. Die Meldedaten von März 2020 bis Mai 2023 wurden deskriptiv ausgewertet mit der Darstellung von absoluten Häufigkeiten und Prozentangaben sowie mit der Darstellung der Mittelwerte sowie der Mediane.


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Ergebnisse

Kinder- und Jugendliche aus Schulen (§33 IfSG)

Aus 88 (70%) der insgesamt 124 Schulen wurden 1527 Kinder mit unvollständiger bzw. unbekannter Immunität gegen Masern gemeldet. Die Meldungen bezogen sich auf ca. 60 000 Schüler:innen [8]. Das entspricht ca. 25 Meldungen pro 1000, von denen 70% nach Anschreiben den Nachweis erbrachten. Man könnte also auf Grundlage der Meldungen in der Gruppe der schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen von wenigstens 7,6 pro 1000 Schüler:innen ohne Nachweis der Immunität ausgehen (ca. 0,76%).

Von 974 Schulkindern wurde die Dokumentation der vollständigen Impfung vorgelegt, von 99 Kindern ein Immunitätsnachweis, von 2 Kindern beides. Für 40 Schülerinnen und Schüler wurde ein Kontraindikationsnachweis eingereicht. Von diesen konnte einer akzeptiert werden. Die übrigen 39 entsprachen nicht den in der Fachinformation des Impfstoffs angegebenen Gründen oder es waren keine konkreten Kontraindikationen genannt. In 603 Fällen wurden bis Mai 2023 wegen ausbleibender Vorlage Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet bzw. der Vorgang an die Ordnungsbehörde weitergeleitet. Im Mittel erfolgte dies 112 Tage nach initialem Anschreiben. 1197 Schülerinnen und Schüler waren 10 Jahre und älter (ca. 78%), 330 waren im Grundschulalter (siehe [Tab. 1]).

Tab. 1 Meldungen entsprechend §20 IfSG aus Einrichtungen §33, allgemeinbildende Schulen im Stadtgebiet Darmstadt und Landkreis Darmstadt Dieburg im Zeitraum 04/2020 bis 05/2023.

Schulen

Stadtkreis (SK)

Landkreis (LK)

SK und LK

Meldepflichtige Einrichtungen

43

81

124

Meldende Schulen

30

58

88

Meldungen gesamt

511

1016

1527

Meldungen bezogen auf 1000 betreute Kinder*

18/1000

32/1000

26/1000

Nach Anschreiben vollständiger Nachweis

359 (70%)

712 (70%)

1071 (70%)

Vollständige Impfdokumentation

331

643

974

Immunitätsnachweis

29

70

99

Nachweis einer Kontraindikation für die Impfung

18 (0 davon akzeptiert)

22 (1 davon akzeptiert)

40 (1 davon akzeptiert)

Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet

189

414

603

nur 1 Impfung

17

22

39

Zeit bis zur Übermittlung der Daten an Ordnungsbehörde, Mittelwert/ Median

177 Tage/ 114 Tage

177 Tage / 100 Tage

177 Tage / 112 Tage

Stellungnahme von Eltern

18

21

39

Altersstruktur

5–9 Jahre

144

186

330

10 Jahre und älter

367

830

1197

alle

511

1016

1527

*Meldungen bezogen auf 1000 Schüler:innen auf Grundlage von ca. 29 000 Schüler:innen in der Stadt Darmstadt und 30 918 Schüler:innen im Landkreis Darmstadt-Dieburg (Jahresbericht Schülerzahlentwicklung Basisdaten 2020/2021 Ladadi; Kinder und tätige Personen in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege in Hessen 2022, Hess. Statistisches Landesamt).


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Kinder und Jugendliche aus sonstigen Kindergemeinschaftseinrichtungen (§33 IfSG)

Aus 14 (5%) der wenigstens 263 nicht schulischen Kindergemeinschaftseinrichtungen wurden insgesamt 17 Kinder gemeldet. Diese bezogen sich auf ca. 30 000 Kinder, die entsprechend betreut wurden, ohne dass gleichzeitig das Kind auch eine Schule besuchte, also im Wesentlichen Vorschulkinder. Nach Anschreiben wurden für 4 Kinder die erforderlichen Nachweise durch die Erziehungsberechtigten eingereicht. Von Zweien wurde die Dokumentation der vollständigen Impfung vorgelegt, von 2 Kindern ein Immunitätsnachweis. Für 9 Kinder wurde ein Kontraindikationsnachweis zugesendet. Von diesen konnte keiner akzeptiert werden, da sie nicht den in der Fachinformation des Impfstoffs angegebenen Gründen entsprachen oder es waren keine konkreten Kontraindikationen genannt. Es wurden hier keine Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet (siehe [Tab. 2]).

Tab. 2 Meldungen entsprechend §20 IfSG aus Einrichtungen §33, Kindertagesstätten im Stadtgebiet Darmstadt und Landkreis Darmstadt Dieburg im Zeitraum 04/2020 bis 05/2023

Kindertageseinrichtungen

Stadtkreis (SK)

Landkreis (LK)

SK und LK

Meldepflichtige Einrichtungen

85

178

263

Meldende Einrichtungen

5

9

14

Meldungen gesamt

5

12

17

Meldungen bezogen auf 1000 betreute Kinder*

<1/1000*

1/1000*

1/1000*

Nach Anschreiben vollständiger Nachweis

2

2

4

Vollständige Impfdokumentation

0

2

2

Immunitätsnachweis

2

0

2

Nachweis einer Kontraindikation für die Impfung

2 (davon 0 akzeptiert)

7 (davon 0 akzeptiert)

9 (davon 0 akzeptiert)

Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet

0

0

0

*Meldungen bezogen auf 1000 betreute Kinder auf Grundlage von 7968 betreuten Kindern in der Stadt Darmstadt und 12 651 betreuten Kindern im Landkreis Darmstadt Dieburg (Kinder und tätige Personen in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege in Hessen 2022, Hess. Statistisches Landesamt).


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Personen untergebracht in Gemeinschaftsunterkünften (§36 IfSG)

Aus den kommunalen Gemeinschaftsunterkünften wurden im angegebenen Zeitraum insgesamt 3986 Personen mit fehlendem Nachweis gemeldet, wovon 566 (14,2%) nach Anschreiben einen vollständigen Nachweis vorlegten, davon 506 vollständige Impfnachweise und 59 Immunitätsnachweise. In einem Fall fehlt die Information darüber, was zum Nachweis vorgelegt wurde. Ordnungswidrigkeitsverfahren wurden in diesem Bereich nicht eingeleitet (siehe [Tab. 3]).

Tab. 3 Meldungen entsprechend §20 IfSG aus Einrichtungen §36 (kommunale Unterbringung) im Stadtgebiet Darmstadt und Landkreisgebiet Darmstadt Dieburg im Zeitraum 04/2020 bis 05/2023.

BewohnerInnen

Stadtkreis (SK)

Landkreis (LK)

SK und LK

Meldungen gesamt

1114

2872

3986

Nach Anschreiben vollständiger Nachweis

5

560

566

Vollständige Impfdokumentation

5

501

506

Immunitätsnachweis

0

59

59

Nachweis einer Kontraindikation für die Impfung

0

0

0

nur 1 Impfung

0

101

101

Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet

0

0

0

Alter

Mittelwert

22,87

22,76

22,8


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Beschäftigte (§§33, 36 und 23 IfSG)

Es wurden insgesamt 17 Beschäftigte mit unvollständiger Immunität aus den Kindergemeinschaftseinrichtungen und den Gemeinschaftsunterkünften gemeldet, 14 von ihnen konnten den geforderten Nachweis vorlegen, davon 4 eine vollständige Impfdokumentation und 10 einen Immunitätsnachweis. In drei Fällen wurde ein Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet. Es fanden keine Meldungen aus medizinischen Einrichtungen statt (siehe [Tab. 4]).

Tab. 4 Meldungen entsprechend §20 IfSG Beschäftigter nach §§ 23, 33 und 36 aus dem Stadtgebiet Darmstadt und dem Landkreis Darmstadt Dieburg im Zeitraum 04/2020 bis 05/2023.

Beschäftigte

Stadtkreis (SK)

Landkreis (LK)

SK und LK

Meldungen gesamt

3

14

17

Nach Anschreiben vollständiger Nachweis

3

11

14

Vollständige Impfdokumentation

1

3

4

Immunitätsnachweis

2

8

10

Nachweis einer Kontraindikation für die Impfung

0

0

0

Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet

0

3

3


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Diskussion

Kinder- und Jugendliche aus Schulen (§33 IfSG)

Dem Gesundheitsamt in Darmstadt Dieburg wurden in den ersten drei Jahren seit Einführung des Masernschutzgesetzes ca. 0,76% der Schüler:innen (ohne Immunitätsnachweis) gemeldet. Der Umkehrschluss, dass mehr als 99% der Kinder und Jugendlichen über eine Masern Immunität (Impfung, sonstiger Immunitätsnachweis) verfügten, kann nicht gezogen werden. Um das zu veranschaulichen, werden die Daten der Impfnachweis-Überprüfungen im Rahmen der Schuleingangsuntersuchungen (SEU) der Gesundheitsämter und die Impfsurveillance der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) herangezogen [8] [9]:

Laut Impfsurveillance der KV verfügten 2018 76,1% der Kinder im Alter von 24 Monaten deutschlandweit über 2 Masernimpfungen [9]. Kinder im Alter von 36 Monaten verfügten zu 89,3% über eine zweite Masernimpfung. Im Rahmen der Schuleingangsuntersuchungen wird im Jahr vor der regulären Einschulung ebenfalls der Masern Impfstatus erhoben. Bei den SEU zum Sommer 2019 wiesen 92,7% der Kinder einen zweimaligen Masernimpfnachweis auf [8]. Bei den Schuleingangsuntersuchungen wie auch bei der Impfsurveillance der KV zeigen sich teilweise große regionale Unterschiede: In den SEU 2019 variierte der Anteil innerhalb der Bundesländer zwischen 85% und 95,8% [8]. Noch ausgeprägter sind die Unterschiede auf regionaler oder kommunaler Ebene [8]. Die Vorschüler:innen der Stadt Darmstadt verfügten beispielsweise laut der SEU 2018/2019 zu mehr als 95% über einen kompletten Impfschutz [8].

Trotz der großen regionalen Unterschiede erscheint der Umkehrschluss von weniger als 1% Ungeimpfter in der hier durchgeführten Analyse auf mehr als 99% Geimpfter zu schließen in Anbetracht der übrigen dargestellten Zahlen aus Deutschland nicht plausibel. Erklärt werden kann die niedrige Rate nicht-immunisierter Kinder in der hier durchgeführten Untersuchung dadurch, dass nicht von einer vollumfänglichen Meldung aller nicht-immunen Kinder ausgegangen werden kann. Eine Negativmeldung der Einrichtungen, z. B. bei wie vielen Kindern ein Immunitätsnachweis in der Schule vorgelegt wurde, ist laut Masernschutzgesetz nicht vorgesehen.

Auch internationale Untersuchungen veranschaulichen die Schwierigkeiten beim Vergleich verschiedener Datenerhebungen: Im Jahr 2019 wurde die Rate vollständig immunisierter Kinder angegeben mit 87% in Großbritannien, 84% in Belgien und 75% in Rumänien [10]. Für Italien ist in dieser Untersuchung ein Anteil von 87% zweifach Geimpfter angegeben. In einer weiteren Untersuchung aus Italien wird für Süd-Italien im gleichen Zeitraum eine Durchimpfungsrate von knapp 78% angegeben [11].


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Kinder und Jugendliche aus sonstigen Kindergemeinschaftseinrichtungen (§33 IfSG)

Aus den übrigen Kindergemeinschaftseinrichtungen wurden im untersuchten Zeitraum nur insgesamt 17 Kinder gemeldet. Wegen zahlreicher Anfragen von den zuständigen Schulbehörden wurden den Schulen 2020 und 2021 mehrfach Informationen zur Übermittlung der Meldungen einschließlich entsprechender Übermittlungsformulare vorgegeben. Die Schulbehörden fungierten hier als Multiplikator. Eine Funktion, die es bei den sonstigen Kindertageseinrichtungen so nicht gibt.

Es besteht aber noch ein weiterer Unterschied zwischen den Kontrollen an Schulen und den in anderen Kindergemeinschaftseinrichtungen: während diese (also Kindergärten, Krippen etc.) den Familien bei ausstehendem Nachweis einen Betreuungsplatz verwehren konnten, ist der Schulbesuch für alle Kinder und Jugendlichen verpflichtend. Auch bei fehlendem Impf- oder Immunitätsnachweis kann den Kindern der Schulbesuch nicht verwehrt werden. Das könnte dazu geführt haben, dass Kindern mit fehlendem Masern-Impfschutz der Besuch z. B. eines Kindergartens von der Einrichtung verweigert wurde und es so gar nicht zu einer Meldung kommen konnte. Die wenigen dem Gesundheitsamt gemeldeten Kinder beziehen sich so auch auf Fälle, die von der Einrichtung selbst nicht beurteilt werden konnten, meist Vorlage eines Kontraindikationsnachweises (für die Impfung). Die geringen Meldezahlen lassen einen Vergleich zu anderen Daten wie denen der Schuleingangsuntersuchungen nicht zu.


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Personen untergebracht in Gemeinschaftsunterkünften (§36 IfSG)

Der größte Anteil der Meldungen bei fehlendem Immunitätsnachweis kam aus kommunalen Unterkünften insbesondere zur Unterbringung Geflüchteter. Aufgrund häufiger Wechsel in den Einrichtungen und der Dynamik der Zu- und Umzüge kann die Gesamtzahl der Menschen in den Unterkünften seit Inkrafttreten des Masernschutzgesetzes nicht angegeben werden kann. Deshalb kann auf Grundlage dieser Untersuchung keine Aussage zum Impfstatus der Personengruppe gemacht werden.

Untersuchungen über die demographischen Eigenschaften von Geflüchteten können teilweise Aufschluss über deren Impfstatus geben: In Bezug auf Gruppen, die zu einem Großteil aus Menschen aus Syrien bestehen, die auch in Deutschland einen sehr großen Anteil ausmachen, variiert der Anteil vollständig Geimpfter zwischen 66% und 77% [12] [13] [14] [15]. Neben der Gemeinsamkeit der Untersuchungen, dass ein Großteil der Personen aus Syrien stammen, gibt es zahlreiche Unterschiede, die auch die unterschiedlichen Durchimpfungsraten erklären können: (1) Die Altersstruktur (Säuglinge und Kleinkinder haben teilweise noch keine Empfehlung für eine bzw. zwei Masern-Impfungen), (2) Unterschiedliche Abschnitte der Fluchtbewegung und (3) untersucht wurde teilweise im Zusammenhang mit einem Impfangebot.

Die Meldungen aus den Unterbringungseinrichtungen stellen die Gesundheitsämter vor besondere Herausforderungen: Laut Asylbewerberleistungsgesetz stehen geflüchteten Personen in Deutschland Schutzimpfungen zu. Diese werden in der Regel in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Bundesländer angeboten. Zur Komplettierung der von der STIKO vorgegebenen Impfempfehlung sind jedoch noch weitere Impfungen vorgesehen [12]. Für den Masernimpfschutz bedeutet es, dass nach der Erstimpfung in der Erstaufnahmeeinrichtung meist noch eine weitere Impfung zur Komplettierung des Impfstatus fehlt. Verständigungsprobleme, häufige Ortswechsel der Betroffenen und der Zugang zum Gesundheitssystem führen dazu, dass nur in einer geringen Anzahl der Fälle (ca. 14%, 566 von 3.986) ein vollständiger Immunitätsnachweis erbracht werden konnte. Die Thematik der Anbindung Geflüchteter an das Regelversorgungssystem ist bekanntermaßen schwer umzusetzen [13] [14]. In diesem Zusammenhang wurden die Meldungen aus den Geflüchteten-Einrichtungen zuletzt lediglich dokumentiert. Anschreiben wurden bei fehlendem Rücklauf und häufigen Wohnortänderungen seit 2023 nicht mehr verschickt. Ordnungsmaßnahmen wurden in diesem Bereich nicht durchgeführt.


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Beschäftigte (§§33, 36 und 23 IfSG)

In Bezug auf die Gruppe der Beschäftigten erreichte das Gesundheitsamt nur vereinzelt Meldungen; keine aus medizinischen Einrichtungen (nach §23 IfSG, Kliniken etc.). Eine Untererfassung ist plausibel, insbesondere für die Beschäftigten in § 33 IfSG (Schulen, Kitas) und § 36 IfSG (Unterbringungseinrichtungen) Einrichtungen. In den medizinischen Einrichtungen gehört es bereits seit vielen Jahren zum Standard, den Impfstatus (insbesondere für Masern) zur Einstellungsvoraussetzung zu machen. Dieses erfolgt durch die arbeitsmedizinische Untersuchung auf Grundlage der bestehenden STIKO Empfehlungen für medizinisches Personal [16]. Aufgrund der sehr geringen Meldezahlen und der Schwierigkeit eine Gesamtsumme aller Beschäftigten zu definieren kann auch hier keine Aussage zur Durchimpfungsrate abgegeben werden. Es existieren verschiedene Daten über den Impfstatus Beschäftigter, die meisten über medizinisches Personal. Auch hier differieren die Angaben zum Impfstatus teilweise stark je nach Studiendesign, untersuchter Gruppe und Nationalität [17] [18] [19]. In Italien beispielsweise variieren die Angaben zum vollständigen Impfstatus bei medizinischem Personal zwischen 20–30% und mehr als 85% [17] [18].

Fazit für die Praxis

Die laut Masernschutzgesetz zur Meldung verpflichteten Einrichtungen sind der Meldung unterschiedlich umfassend nachgekommen. Die größte Anzahl der Meldungen kam aus Unterkünften für Geflüchtete. Diese stellen die Gesundheitsämter vor besondere Herausforderungen. Der Ansatz, die Menschen zeitnah in ein funktionierendes Gesundheitssystem zu integrieren, um ausstehende Impfungen nachholen zu können, darf nicht vernachlässigt werden. Alternativ könnten auch niedrigschwellige Impfangebote geschaffen werden.

Die hier dargestellten Meldedaten aus dem Masernschutzgesetz eignen sich am ehesten, wenn auch nur begrenzt, um die Impfraten bei Schulkindern abschätzen zu können. Die zum Vergleich dargestellten Erhebungen der Schuleingangsuntersuchungen und der KV-Impfsurveillance können in den folgenden Jahren helfen, einen Effekt des Masernschutzgesetzes auf die Durchimpfungsrate bei Kindern und Jugendlichen zu bewerten.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Dr. Katrin Simone Steul
Gesundheitsamt Darmstadt Dieburg
Infektionsschutz Hygiene Umwelt
Niersteiner Str. 3
64295 Darmstadt
Germany   

Publication History

Received: 01 March 2024

Accepted after revision: 12 July 2024

Accepted Manuscript online:
12 July 2024

Article published online:
01 October 2024

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Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany


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Abb. 1 Dem RKI übermittelte Masernfälle in Deutschland in den Jahren 2001–2023 (Survstat@RKI 2.0), Abfrage von 02/2024.