Intensivmedizin up2date 2025; 21(01): 37-56
DOI: 10.1055/a-2344-0363
Internistische Intensivmedizin

Intoxikationen mit neuen psychotropen Substanzen/Designerdrogen

Franziska Helfrich
,
Florian Eyer
,
Sabrina Schmoll
 

Neue psychoaktive Substanzen (NPS), auch als „Designerdrogen“ bekannt, stellen eine zunehmend komplexe Herausforderung für das Gesundheitswesen dar. Unter diesem Begriff werden psychoaktive Substanzen zusammengefasst, die sowohl als Sedativa als auch als Stimulanzien, Entaktogene oder Halluzinogene wirken. Diese Substanzen ahmen durch chemische Modifikation die Wirkung von illegalen Substanzen nach, entgehen aber oftmals gesetzlichen Regelungen.


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Bei akuten Vergiftungen durch NPS sind häufig intensivmedizinische Maßnahmen notwendig. Diese umfassen die Überwachung und Stabilisierung der Vitalfunktionen sowie die Behandlung spezifischer Symptome wie Herzrhythmusstörungen oder psychotischer Episoden. Dieser Beitrag beleuchtet die klinisch relevantesten NPS mit ihren Substanzeigenschaften und Wirkmechanismen sowie die Therapie bei Intoxikationen mit ihnen.

Definition und Bedeutung

Neue psychoaktive Substanzen (NPS) sind psychoaktive Stoffe, die als Sedativa, Stimulanzien, Entaktogene oder Halluzinogene wirken. Diesen Substanzen ist gemein, dass sie durch chemische Modifikation die Wirkung von illegalen Substanzen nachahmen, jedoch gesetzlichen Regelungen oftmals entgehen und häufig mit einem stärkeren Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil verbunden sind [1]. Die medizinische und rechtliche Handhabung wird zudem durch eine ausschließlich in spezialisierten Laboren mögliche Nachweisbarkeit erschwert.

Merke

Die unvorhersehbaren Effekte der Substanzen und deren erschwerte Nachweisbarkeit machen NPS zu einer besonderen gesundheitlichen und gesellschaftlichen Bedrohung.

Der europäische Drogenbericht 2024 der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (ehemals EMCDDA; jetzt European Union Drugs Agency, EUDA) unterstreicht diese Problematik [1]. Die EUDA sammelt Daten zu Trends und Entwicklungen im Drogenkonsum aus den EU-Mitgliedsstaaten, der Türkei und Norwegen, unterstützt von Europol. Ziel ist es, Risikobewertungen durchzuführen und Handelswege sowie Verkaufsstrategien aufzudecken.


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Frühwarnsystem für NPS

Ein Frühwarnsystem für NPS ist bereits etabliert und soll um ein europäisches Drogenwarnsystem erweitert werden [1]. Mithilfe des EU-Frühwarnsystems können neue Drogen identifiziert und überwacht, sowie zeitnah (gesetzliche) Regulierungsmaßnahmen ergriffen werden.

Im Jahr 2023 wurden dem System folgende neue Substanzen – meist durch Beschlagnahmungen – gemeldet:

  • 9 synthetische Cannabinoide

  • 3 synthetische Cathinone

  • 7 synthetische/neue Opioide, darunter 6 Nitazene

  • 1 synthetisches/neues Benzodiazepin

  • 4 anderweitige Phenethylamine (Halluzinogene wie 2C-T und Mescalin-Derivate)

Aktuell überwacht das Frühwarnsystem über 950 NPS, deren hohe Wirkstärke, veränderte Verabreichungsformen (z. B. „Edibles“ und „Vaping“) sowie neue Substanzkombinationen ein gesundheitliches Risiko mit potenziell tödlichen Vergiftungen für den Konsumenten darstellen [1].


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Das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz

Anhand des Neue psychoaktive Stoffe Gesetz (NpSG), das 2016 erlassen wurde, ist es dem Gesetzgeber nun möglich, NPS - die durch chemische Modikfikation bisher weder unter das Arznei- noch das Betäubungsmittelgesetz fielen - als Stoffgruppen zu verbieten. Die Herstellung, der Handel, der Vertrieb, der Erwerb, der Besitz sowie das Verabreichen der hier aufgelisteten Stoffgruppen ist verboten. Initial umfasste das Gesetz lediglich die Derivate von 2-Phenethylamin (einschließlich Cathinone) sowie synthetische Cannabinoide. Seit 2021 wurden die Stoffgruppen um neue Benzodiazepine sowie Derivate von N-(2-Aminocyclohexyl)amid, Tryptamin, Arylcyclohexylamin und Benzimidazol erweitert. Der Konsum ist nach wie vor nicht strafbar [2].


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Herstellung, Verbreitung und Erwerb von NPS

In Internetblogs beschreiben und diskutieren Konsumenten die Wirkung, geben Auskunft über Beschaffungswege und sogar Anleitung zur eigenständigen Herstellung. Der Hauptvertrieb scheint nach wie vor über das Internet zu funktionieren, die bestellten Produkte werden im Anschluss per Paketdienst oder Post in kleinen Aluminiumpäckchen verschweißt zugestellt [1] [3]. Die Herstellung der Substrate erfolgt meistens in China, Indien oder Mexiko, die Verarbeitung zum Endprodukt in Europa [1].


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Synthetische und semisynthetische Cannabinoide

Fallbeispiel

Synthetische Cannabinoide

Der Rettungsdienst wird zu zwei Frauen (28 und 30 Jahre) auf einer Party alarmiert, nachdem diese unwissentlich synthetische Cannabinoide konsumiert haben, die in Form von Gummibärchen bei der Feier angeboten wurden.

Bei Eintreffen des Rettungsdienstes zeigt die 28-jährige Patientin Symptome wie ausgeprägte Übelkeit, Erbrechen und allgemeines Unwohlsein. Sie ist in einem stark reduzierten Allgemeinzustand, bei Bewusstsein, jedoch stark geschwächt und nicht in der Lage, ohne Unterstützung zu stehen. Die 30-jährige Patientin hingegen leidet unter schweren Panikattacken und unwillkürlichen Muskelbewegungen (Dyskinesien), die sie als beängstigend empfindet. Beide Patientinnen sind kardiopulmonal stabil und werden mit Notarztbegleitung in die Klinik transportiert.

Aufnahmebefund

28-jährige Patientin: Allgemeinzustand stark reduziert, somnolent, aber auf Ansprache erweckbar, GCS 12. Vitalparameter: RR 95/60 mmHg, Herzfrequenz (HF) 60/min, Temperatur 36,5 °C, Atemfrequenz 14/min. Cor: rein, rhythmisch, keine Vitien. EKG: Sinusbradykardie, HF 60/min, PQ-Zeit 200 ms, QRS 100 ms, QT/QTc 400/370 ms.

30-jährige Patientin: Allgemeinzustand reduziert, wach und kontaktierbar, aber panisch-ängstlich. Vitalparameter: RR 100/65 mmHg, HF 95/min, Temperatur 36,7 °C, Atemfrequenz 18/min. Cor: rein, rhythmisch, keine Vitien. EKG: sinusrhythmisch, HF 70/min, PQ-Zeit 190 ms, QRS 95 ms, QT/QTc 390/360 ms.

Verlauf

Beide Patientinnen werden symptomatisch behandelt. Die 28-jährige Patientin erhält i. v. Flüssigkeit (NaCl 0,9% 60 ml/h) sowie ein Antiemetikum. Im Verlauf verbessern sich ihre Symptome langsam. Die 30-jährige Patientin wird aufgrund der Panikattacken mit einem Benzodiazepin oral behandelt, was zu einer spürbaren Beruhigung führt und zum Nachlassen der Dyskinesien

Nach Stabilisierung berichten beide, dass sie keine Erfahrung mit synthetischen Cannabinoiden hätten und die Wirkung als sehr unerwartet und beängstigend empfanden. Trotz der Empfehlung zur stationären Überwachung und weiteren Abklärung entscheiden sich die Patientinnen nach Stabilisierung der Symptome für eine Entlassung auf eigenen Wunsch.

Synthetische Cannabinoide sind künstlich hergestellte Substanzen, die ähnlich wie THC (Tetrahydrocannabinol) an Cannabinoid-Rezeptoren binden. Seit Mitte der 2000er-Jahre werden synthetische Cannabinoide – auch als „Kräutermischungen“ oder „Spice“ bezeichnet – als „Legal Highs“ in der Schweiz und Europa v. a. über das Internet verkauft und als Bio Drugs mit phantasievollen Bezeichnungen wie „lion’s tail“ oder „K2“ von Konsumenten erworben ([Abb. 1]) [3] [4].

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Abb. 1 Beispiel für ein synthetisches Cannabinoid. (Quelle: Toxikologisches Labor, Asservate, Abteilung für Toxikologie und Giftnotruf München, Medizinische Klinik und Poliklinik II, TUM Universitätsklinikum, School of Medicine and Health, Technische Universität München)

Semisynthetische Cannabinoide werden überwiegend aus Cannabidiol (CBD) gewonnen und haben in den letzten Jahren vermehrt Einzug auf dem europäischen Drogenmarkt gefunden. Oft als harmlose Produkte verkauft wird ihr Nebenwirkungsprofil v. a. von unerfahrenen Nutzern unterschätzt.

Substanzeigenschaften

Synthetische und semisynthetische Cannabinoide werden als getrocknete Blätter oder Harz sowie zunehmend auch als weiß-gelbliches Pulver vertrieben [1] [3]. Der Konsum erfolgt meist inhalativ in Pfeifen oder als Zigarette geraucht. Durch die zunehmende Beliebtheit von E-Zigaretten werden nun auch vermehrt (semi-)synthetische Cannabinoide in sog. Vapes verkauft und konsumiert („Vaping“). Zudem nimmt das Angebot von „Edibles“ zu, mit Cannabinoiden angereicherte Süßigkeiten [1]. Erstmals gelang es einer Frankfurter Arbeitsgruppe 2009, das synthetische cannabisähnliche Aminoalkylindol (JWH 018) zu identifizieren. Die Substanz geht auf John W. Huffman zurück, der bereits in den 1980er-Jahren an der Entwicklung synthetischer Cannabinoide geforscht hat und mehr als 300 derartige Verbindungen synthetisieren konnte [4].

Synthetische wie auch semisynthetische Cannabinoide können basierend auf der chemischen Struktur der Moleküle in untenstehende Gruppen eingeteilt werden. Die strukturelle Einteilung hilft, die Vielzahl der synthetischen und semisynthetischen Cannabinoide besser zu verstehen und ihre pharmakologischen Eigenschaften vorherzusagen. [Abb. 2] stellt die chemischen Strukturformeln natürlich vorkommender und synthetischer Cannabinoide dar [5] [6].

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Abb. 2 a Natürlich vorkommende Cannabinoide; b missbräuchlich verwendete, semisynthetische Cannabinoide – die Molekülstruktur ähnelt der natürlichen Ursprungssubstanz; c missbräuchlich verwendete, synthetische Cannabinoide – Benzoyl- und Naphtholgruppen sorgen u. a. für eine höhere Cannabinoid-Rezeptor-Affinität [5] [6].

Natürliche und synthetische Cannabinoide

  • Klassische Cannabinoide: Hierzu gehören Delta-9-Tetrahydrocannabinol (Δ9-THC) aus der Cannabispflanze sowie Nabilon, ein zugelassenes Antiemetikum. Diese Gruppe umfasst auch synthetische Verbindungen, die strukturell Δ9-THC ähneln. Ein Beispiel ist HU-210 [3].

  • Nichtklassische Cannabinoide: Diese Verbindungen wie Cyclohexylphenole (CP) sind strukturell anders aufgebaut als Δ9-THC, weisen aber ähnliche pharmakologische Eigenschaften auf. Zu dieser Gruppe gehören Substanzen wie CP 55,940 und CP 47,497 [3].

  • Aminoalkylindole: Diese Gruppe umfasst viele der sogenannten Spice-Kräutermischungen. Hierzu gehört auch die erstmals vom Chemiker J. W. Huffman synthetisierte JWH-Reihe. Beispiele für diese Gruppe sind JWH-018, JWH-122 und AM-2201 [3].

  • Eicosanoide: Diese Verbindungen sind in ihrer Struktur den Phytocannabinoiden wie Δ9-THC am ähnlichsten. Zu dieser Gruppe gehören z. B. Anandamide, sog. körpereigene Cannabinoide.


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Semisynthetische Cannabinoide

Semisynthetische Cannabinoide entstehen durch chemische Modifikationen natürlicher Cannabinoide. Sie können strukturell in Bezug auf die Modifikationen klassifiziert werden:

  • THC-Derivate: Diese Verbindungen entstehen durch chemische Modifikation von Δ9-THC. Beispiele für diese Gruppe sind Hexahydrocannabinol (HHC), Hexahydrocannabinol-O-Acetat (HHC-O) und Hexahydrocannabiphorol (HHC-P), ein Derivat von HHC mit einer verlängerten Alkylkette, was zu einer stärkeren Bindung an die Cannabinoid-Rezeptoren führen kann [7].

  • CBD-Derivate: Diese Verbindungen entstehen durch chemische Modifikation von Cannabidiol (CBD). Ein Beispiel ist Cannabidivarin (CBDV) [7].


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Wirkmechanismus

Synthetische Cannabinoide binden an die gleichen Cannabinoid-Rezeptoren (CB1 und CB2) wie THC und körpereigene Anandamide, jedoch mit höherer Affinität und intrinsischer Aktivität. Dies wird u. a. für die gesteigerte psychoaktive Aktivität sowie das erhöhte Nebenwirkungsspektrum – Krampfanfälle und Herzrhythmusstörungen – verantwortlich gemacht [3].

Semisynthetische Cannabinoide binden an CB1- und CB2-Rezeptoren mit geringerer Affinität als THC. Berichte deuten darauf hin, dass Hexahydrocannabinol (HHC) als weniger berauschend empfunden und daher als „Cannabis light“ vermarktet wird [1]. Aus der Forschung am Cannabinoid-System sind unzählige, zum Missbrauch geeignete Agonisten mit unterschiedlicher Affinität zum CB1- und CB2-Rezeptor bekannt.

Das Endocannabinoid-System besteht aus G-Protein-gekoppelten Cannabinoid-Rezeptoren, die an der Regulation physiologischer Prozesse beteiligt sind. Ferner beeinflusst die Rezeptoraktivität neuronale synaptische Prozesse sowie die neuronale Kommunikation und ist an der Entwicklung des Gedächtnisses sowie dessen Reifung beteiligt. In der Peripherie werden die Energiebilanz und die Kontrolle des arteriellen Tonus mithilfe der Rezeptoren reguliert [3]. CB1-Rezeptoren sind vorwiegend neuronal, CB2-Rezeptoren auf Milz, Tonsillen und Zellen des Immunsystems sowie auf einzelnen Neuronenverbänden exprimiert [3] [8].


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Wirkspektrum

Das Profil der unerwünschten Wirkungen ist vielfältig und oftmals schwerer Natur. Packungsangaben – sofern überhaupt enthalten – sind meist unvollständig und liefern keine ausreichenden Informationen über die enthaltenen Substanzen sowie deren Dosierung. Der Konsument bleibt im Unklaren, welche Inhaltsstoffe und welche Menge an Cannabinoiden er konsumiert. Nach dem Konsum sind am häufigsten folgende Nebenwirkungen zu beobachten: Tachykardie, arterielle Hypertonie, Hyperglykämie, Hypokaliämie, Halluzinationen und Agitationen [3].

Die Wirkungen synthetischer Cannabinoide fasst [Tab. 1] zusammen. Neben den THC-ähnlichen Effekten ist der Konsum von synthetischen Cannabinoiden v. a. mit tachykarden Herzrhythmusstörungen sowie Krampfanfällen und Elektrolytentgleisungen assoziiert [5]. In einigen Asservaten konnten Sympathomimetika sowie Tocopherol, Eugenol und Fettsäuren – am ehesten als Störsubstanz – nachgewiesen werden [5] [6].

Tab. 1 Wirkung (semi-)synthetischer Cannabinoide [5] [6].

Organsystem

Symptome

kardiovaskulär

Tachykardie/Bradykardie

Hypertonie

Palpitationen

Synkope

EKG-Veränderungen

kardiale Ischämie

neurologisch

Schwindel

Bewusstlosigkeit

Somnolenz

Parästhesie

Krampfanfall

Ataxie

Tremor

psychiatrisch

Agitation

Aggression

Halluzinationen und Psychose

Verwirrtheit

Ängstlichkeit

metabolisch

Hyperglykämie

Hypokaliämie

nephrologisch

akutes Nierenversagen

pulmonal

Hyper-/Hypoventilation

Dyspnoe

muskulär

Kreatinkinase-Anstieg

Myalgie

andere

Hyperthermie


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Synthetische Cathinone

Fallbeispiel

Synthetische Cathinone

Vorstellung eines 25-jährigen Mannes in Notarztbegleitung, nachdem er stark agitiert und fremdaggressiv in einem öffentlichen Park aufgefunden wurde. Im Gepäck des Patienten werden eine Pfeife und weißes Pulver gefunden. Bei Eintreffen des Rettungsdienstes ist der Patient agitiert, schreit laut und versucht, umstehende Personen anzugreifen. Er muss von mehreren Einsatzkräften fixiert werden. Aufgrund der starken Agitation und des aggressiven Verhaltens wird eine Sedierung mit Benzodiazepinen (zunächst nasal, anschließend i. v.) durchgeführt. Dennoch bleibt der Patient weiterhin unruhig und verwirrt. Zusätzlich fällt eine deutliche Hyperthermie mit einer Körpertemperatur von 39,5 °C auf.

Aufnahmebefund

Patient stark agitiert, fremdaggressiv, nach Sedierung mit Benzodiazepinen weiterhin unruhig, zu keiner Qualität orientiert, GCS 12. Vitalparameter: RR 160/90 mmHg, HF 130/min, Temperatur 39,5 °C, Atemfrequenz 22/min. Cor: tachykard, rein, rhythmisch, keine Vitien. EKG: Sinustachykardie, HF 130/min, PQ-Zeit 180 ms, QRS 90 ms, QT/QTc 380/360 ms.

Toxikologischer Befund

Im Drogenschnelltest (Urin) zeigt sich ein positiver Befund für THC und Amphetamine. In der ausführlichen toxikologischen Analytik gelingt neben dem Nachweis von THC und Amphetaminen der Nachweis des synthetischen Cathinon alpha-PVP in der Flüssigchromatografie-Massenspektrometrie.

Laborbefunde

Labor bei Aufnahme: CK stark erhöht (> 10000 U/l), Kreatinin 2,5 mg/dl, Kalium 5,5 mmol/l, Myoglobin erhöht.

Verlauf

Aufgrund der Agitation sind eine i. v. Sedierung zunächst mit Benzodiazepinen, bei klinisch nicht ausreichender Wirkung ergänzt durch Propofol, und im Verlauf bei respiratorischer Insuffizienz eine Schutzintubation notwendig. Die Hyperthermie persistiert trotz kühlender Maßnahmen, sodass eine Relaxierung erfolgt. Es kommt zu einer Rhabdomyolyse mit akutem Nierenversagen und Notwendigkeit einer intermittierenden Hämodialyse. Zusätzlich präsentieren sich laborchemisch eine massive Transaminasenerhöhung und eine disseminierte intravasale Gerinnung mit Notwendigkeit der Transfusion von Gerinnungsprodukten.

Unter breiter antibiotischer Therapie bei Verdacht auf Aspirationspneumonie sowie intermittierender Hämodialyse und maximaler Intensivtherapie zeigen sich die Befunde regredient. Die Dialyse kann nach einer Woche beendet werden. Nach einem mehrwöchigen stationären Aufenthalt erholt sich der Patient vollständig. Bei der abschließenden Untersuchung zeigt er keine bleibenden Schäden, weder in Bezug auf die Nierenfunktion noch hinsichtlich anderer Organsysteme.

Synthetische Cathinone, auch als „Badesalze“ bekannt, sind chemische Derivate des Cathinons aus der Kathpflanze, „Catha edulis“, und mit Methamphetamin sowie 3,4-Methylendioxymethamphetamin (Ecstasy) verwandt ([Abb. 3]) [5] [9]. Für ihre stimulierenden, amphetaminähnlichen Effekte bekannt werden die Blätter der Pflanze getrocknet und gekaut. Cathinone und ihre Derivate haben bereits mehrfach Anwendung in der Medizin gefunden, u. a. als Antidepressivum und Appetitzügler Mitte des 20. Jahrhunderts [10]. Im Jahr 2022 entfielen laut dem Jahresbericht der EUDA über 80% der in den EU-Ländern sichergestellten neuen psychoaktiven Substanzen auf 4 synthetische Cathinon-Derivate: 3-CMC, 3-MMC, 2-MMC und N-Ethylnorpentedron [1].

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Abb. 3 Synthetische Cathinone und ihre strukturelle Verwandtschaft mit den Amphetaminen MDMA und Methamphetamin [5] [9].

Substanzeigenschaften

Von der Beschaffenheit her handelt es sich um weiße oder braune Kristalle bzw. Pulver (Beispiel in [Abb. 4]). Der Konsum erfolgt via Inhalation mithilfe von Pfeifen sowie nasal, oral und mittels i. v. Injektion.

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Abb. 4 Beispiel für synthetische Cathinone. (Quelle: Toxikologisches Labor, Asservate, Abteilung für Toxikologie und Giftnotruf München, Medizinische Klinik und Poliklinik II, TUM Universitätsklinikum, School of Medicine and Health, Technische Universität München)

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Wirkmechanismus

Synthetische Cathinone erhöhen die Freisetzung und hemmen die Wiederaufnahme von Monoamin-Neurotransmittern, insbesondere Dopamin, Noradrenalin und Serotonin. Diese erhöhte Verfügbarkeit von Neurotransmittern im synaptischen Spalt bedingt die intensiv stimulierenden Effekte [1]. Je nach Modifikation der Grundsubstanz können unterschiedliche Neurotransmittersysteme beeinflusst werden.

Synthetische Cathinone können 3 Gruppen zugeordnet werden [5]:

  • Kokain-MDMA-mixed-Typ (Mephedron, Methylon, 3-CMC, 3-MMC, Ethylon, Butylon, Naphyron): unspezifische Monoaminwiederaufnahme-Hemmung mit 5-fach höherer Dopamin- als Serotoninwiederaufnahme-Hemmung

  • Metamphetamin-ähnlicher Typ (Cathinon, Flephedron, Methcathinon, 2-MMC, N-Ethylnorpentedron): Dopamin- und Noradrenalinwiederaufnahme-Hemmer sowie Freisetzung von Dopamin

  • Pyrovaleron-Typ (Pyrovaleron, MDPV, α-PVP): selektiver Inhibitor der Katecholaminwiederaufnahme


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Wirkspektrum

Die subjektiv empfundenen und teils durch den Konsum erwünschten Rauschwirkungen können sein [10]:

  • erhöhte Aufmerksamkeit und Energie

  • erhöhte Motivation

  • erhöhte Produktivität und Arbeitsfähigkeit

  • Stimmungsaufhellung und Wohlbefinden

  • Euphorie

  • Empathie

  • gesteigertes Selbstvertrauen, Offenheit, Kontaktfreudigkeit und Gesprächigkeit

  • Intensivierung der Sinneserfahrungen bis hin zu Halluzinationen und Wahrnehmungsverzerrungen

  • Schlaflosigkeit

  • verminderter Appetit

  • motorische Erregung

  • gesteigerte Libido und sexuelle Erregung

Die Wirkdauer sowie das Wirkmaximum hängen von der konsumierten Menge und der Konsumart ab. In der Regel werden zwischen 5 und 20 mg konsumiert, nach oraler Ingestion erfolgt der Wirkbeginn nach etwa 1,5 h mit einer Wirkdauer von 3–4 h [10].

Im Rahmen akuter Intoxikationen zeigen sich neben den oben aufgeführten Symptomen v. a. kardiale, neurologische und psychiatrische Nebenwirkungen ([Tab. 2]). Durch die gleichzeitige Überstimulation der Neurotransmittersysteme an mehreren Organen wie Herz (z. B. kardiale Ischämie), Niere (z. B. akutes Nierenversagen) und Lunge (z. B. sekundäres Lungenversagen) ist der Konsum synthetischer Cathinone nicht selten mit einem Multiorganversagen assoziiert und erfordert intensivmedizinische Maßnahmen [10].

Tab. 2 Mögliche Nebenwirkungen und Komplikationen durch Konsum synthetischer Cathinone [5] [11] [12].

Organsystem

Symptome

kardiovaskulär

Tachykardie

Hypertonie

Palpitationen

Brustschmerzen

Dyspnoe

kardiale Ischämie

neurologisch

Kopfschmerzen

Mydriasis

Benommenheit

Parästhesien

Krampfanfall

dystone Bewegungen

Tremor

psychiatrisch

Agitation

Aggression

Halluzinationen

Verwirrtheit

Ängstlichkeit

Psychose

metabolisch

Hyponatriämie

Hypokaliämie

Azidose

nephrologisch

akutes Nierenversagen

pulmonal

Hyper-/Hypoventilation

Dyspnoe

muskulär

Kreatinkinase-Anstieg, Rhabdomyolyse

Kompartmentsyndrom

andere

Hyperthermie

Abszesse, Bruxismus


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Neue Benzodiazepine

Neue Benzodiazepine halten erst seit 2012 relevanten Einzug auf dem europäischen Drogenmarkt und stellen bisher eine eher kleine, aber wachsende Untergruppe der NPS dar. Chemisch wie „handelsübliche“ Benzodiazepine anmutend, ermöglichen strukturelle Modifikationen deutlich erhöhte Wirkpotenzen und eine verlängerte Wirkdauer sowie psychoaktive Effekte. Sie werden sowohl als eigenständige Substanzen für den Freizeitkonsum als auch zur Verstärkung oder Verlängerung der Wirkung anderer Drogen, wie Opioide, sowie zur Selbstmedikation angeboten [1].

Substanzeigenschaften

„Neue“ Benzodiazepine werden in Tablettenform, als weißes Pulver oder als Lösungen in Tropfflaschen vertrieben. Der Konsum erfolgt überwiegend oral. Anhand ihrer chemischen Struktur und Wirkdauer können diese Substanzen in folgende Gruppen eingeteilt werden.

Triazolobenzodiazepine

Diese Klasse umfasst Benzodiazepine, die eine Triazol-Ringstruktur enthalten; sie sind bekannt für ihre hohe Potenz und lange Wirkdauer (mehrere Stunden bis Tage):

  • Flubromazolam: Diese Substanz ist ein Triazolo-Analogon von Flubromazepam und induziert starke sedative Effekte, Amnesie und eine schnelle Toleranzentwicklung. Die Halbwertszeit beträgt 10–20 h. Flubromazolam zeigt wiederkehrende Serumkonzentrationspeaks – am ehesten einer enterohepatischen Verstoffwechslung oder einer verzögerten Magenentleerung geschuldet. Einzelne Fallberichte beschreiben eine erneut einsetzende sedierende Wirkung 30 h nach Einnahme [13].

  • Clonazolam: Ein Triazolo-Analogon von Clonazepam; es ist Berichten zufolge signifikant potenter als Alprazolam und führt zu tiefgreifender Sedierung und Anxiolyse sowie schweren Entzugssymptomen bei Absetzen. Die Halbwertszeit ist mit 3,6 h kürzer als die von Flubromazolam [13].


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Thienodiazepine

Diese Gruppe beinhaltet Verbindungen, bei denen der Benzolring durch einen Thienyl-Ring ersetzt ist. Die Vertreter dieser Gruppe haben eine eher kurze Wirkdauer (ca. 6–8 h):

  • Etizolam: in einigen Ländern medizinisch angewendet, führt zu starker Sedierung und Anxiolyse [13].

  • Deschloroetizolam: wirkt hauptsächlich über die Bindung an GABA-A-Rezeptoren [13].


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Nitrobenzodiazepine

Diese Klasse zeichnet sich durch eine Nitrogruppe aus, die an den Benzolring gebunden ist. Vertreter dieser Gruppe haben eine mittlere bis lange Wirkdauer (bis zu 24 h):

  • Diclazepam: Ein Designer-Analogon von Diazepam mit ähnlichem pharmakologischem Profil, einschließlich anxiolytischer und antikonvulsiver Eigenschaften, aber aufgrund der langen Wirkungsdauer erhöhtem Akkumulationsrisiko [13].

  • Meclonazepam: bekannt für seine sedative und antikonvulsive Wirkung, aber auch für starke Nebenwirkungen [13].

  • Flunitrazepam: mit einer Halbwertszeit von etwa 18–26 h für seine langanhaltende sedative Wirkung bekannt [13].

Aufgrund der strukturellen Unterschiede der synthetischen Benzodiazepine können diese via Schnelltest oft nicht erfasst werden, was zu falsch negativen Ergebnissen führt. Ein zuverlässiger Nachweis ist aktuell nur mittels Gaschromatografie-Massenspektrometrie (GC-MS) und Flüssigchromatografie-Massenspektrometrie (LC-MS) möglich [14] [15].


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Wirkmechanismus

Benzodiazepine verstärken die Aktivität des Neurotransmitters GABA (Gammaaminobuttersäure) am GABA-A-Rezeptor, indem sie dessen Öffnungsfrequenz erhöhen. Dies führt zu einer erhöhten Chloridionen-Leitfähigkeit und bewirkt eine Hyperpolarisation der Zellmembran, wodurch die sedierende und anxiolytische Wirkung vermittelt wird [14]. Neue synthetische Benzodiazepine bedingen durch Modifikation an der Grundstruktur – z. B. das Hinzufügen von Halogen- oder Nitrogruppen oder das Ersetzen des Phenylrings durch eine Thienyl-Gruppe – erhebliche Veränderungen der pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Profile [13] [16].


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Wirkspektrum

Der Konsum von neuen synthetischen Benzodiazepinen ist mit einer Reihe akuter und chronischer Gesundheitsrisiken verbunden. Zu den akuten Effekten gehören starke Sedierung, Atemdepression, Amnesie und beeinträchtigte motorische Funktionen, die zu Unfällen und Verletzungen führen können. Regelmäßiger Konsum kann zu Abhängigkeit, Toleranz und schweren Entzugssymptomen einschließlich Krampfanfällen und Psychosen führen [13]. Darüber hinaus werden neue synthetische Benzodiazepine häufig zur Wirkverstärkung oder -verlängerung anderer Substanzen wie Opioide (sog. Benzo-Dope, s. u.) hinzugefügt, was das Risiko einer tödlichen Überdosierung erhöht [1].


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Synthetische Opioide

Im Jahr 2022 wurden in Europa mind. 163 Todesfälle mit Fentanyl und dessen Derivaten in Verbindung gebracht, zudem wurden in 84% aller tödlichen Überdosierungen Opioide nachgewiesen. Todesfälle sind häufig auf aus medizinischen Beständen entwendetes Fentanyl zurückzuführen [1]. Seit 2009 wurden insgesamt 81 neue Opioide, darunter 16 Nitazene und 1 Fentanyl-Derivat, identifiziert, die als Nasenspray oder als Mischung mit Heroin sowie in gefälschten Arzneimitteln auftraten [1].

Neue synthetische Opioide sind aufgrund ihrer hohen Rezeptoraffinität und Wirkstärke in den USA und Europa für hohe Zahlen an Opiat-Abhängigkeit und Überdosierungen mit Todesfällen verantwortlich. Im Jahr 2022 wurden in der EU 749 Beschlagnahmungen neuer Opioide gemeldet, wobei 40% Carfentanil und 22% Tramadol enthielten [1].

Substanzeigenschaften

Häufig werden synthetische Opioide mit anderen Drogen (z. B. Heroin) kombiniert oder in Pillen gepresst. Die Substanzen werden als Pulver, Tabletten oder Flüssigkeiten verkauft. Synthetische Opioide als Pulver haben meist eine weiße bzw. cremeweiße Farbe. Tabletten sind häufig mit Farbstoffen versetzt, um sie legalen Medikamenten ähneln zu lassen. Anhand ihrer Strukturformeln können neue synthetische Opioide in 4 Gruppen eingeteilt werden ([Abb. 5]) [17] [31].

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Abb. 5 Synthetische Opioide (Gruppen) [17] [31].

Benzamide

  • Fentanyl und seine Derivate: Fentanyl ist ein extrem potentes synthetisches Opioid mit einer Wirkstärke ca. 100-fach zu Morphin. Wirkdauer in therapeutischer Dosis: 30–60 min bei i. v. Verabreichung [18]:

    • Carfentanil: etwa 100-mal potenter als Fentanyl und 10000-mal potenter als Morphin. Wird hauptsächlich in der Tiermedizin zur Sedierung großer Tiere verwendet. Wirkdauer in therapeutischer Dosis: 1–4 h bei i. v. Verabreichung.

    • Sufentanil: etwa 5- bis 10-mal potenter als Fentanyl und 500- bis 1000-mal potenter als Morphin, häufig in der Anästhesie eingesetzt. Wirkdauer in therapeutischer Dosis: 20–45 min bei i. v. Verabreichung.

    • Alfentanil: etwa ein Viertel so potent wie Fentanyl und 25- bis 30-mal potenter als Morphin; kürzere Wirkungsdauer als Fentanyl, verwendet für kurze chirurgische Eingriffe. Wirkdauer in therapeutischer Dosis: 5–10 min bei i. v. Verabreichung.

    • Remifentanil: in etwa so potent wie Fentanyl bzw. 100- bis 200-mal potenter als Morphin, sehr kurze Halbwertszeit, geeignet für Eingriffe, die eine schnelle Beendigung der analgetischen Wirkung erfordern. Wirkdauer in therapeutischer Dosis: 5–10 min bei i. v. Verabreichung.

    • Lofentanil: Etwa 10000- bis 20000-mal potenter als Fentanyl und 1–2 Mio. Mal potenter als Morphin, somit eines der potentesten Opioide, das in der Forschung untersucht wird. Wirkdauer in therapeutischer Dosis: bis zu 6 h bei i. v. Verabreichung.

  • U‑47700, U‑49900 und U‑48800: synthetische Opioide, die ähnliche Eigenschaften wie Fentanyl besitzen [19].

  • AH‑7921: synthetisches Opioid, das in den 1970er-Jahren entwickelt wurde und mit einer bis zu 7,5-fachen Potenz im Vergleich zu Morphin ([Abb. 6]) wirkt [17] [19].

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Abb. 6 Opiate. a Morphin; b das Antidot Naloxon [17] [19].

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Acetamide

U‑50488 und U‑51754 haben eine strukturelle Ähnlichkeit zu U‑47700 und wirken als κ‑Rezeptor-Agonisten analgetisch und als μ‑Rezeptor-Antagonisten der Atemdepression entgegen [19].


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Piperazine

MT‑45 ist ein N,N-disubstituiertes Piperazin, dessen Struktur keine Ähnlichkeit mit der von Morphin oder anderen Opioid-Rezeptor-Agonisten aufweist. Zwischen 2013 und 2014 kam es in Schweden zu 28 Todesfällen, bei 19 dieser 28 Fälle wurde MT‑45 als Todesursache ermittelt [17].


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Nitazene

Nitazene heben sich durch die Präsenz von Nitrogruppen und ihre komplexe, modifizierte aromatische Struktur von anderen synthetischen Opioiden ab. Diese strukturellen Unterschiede tragen zu ihrer hohen Potenz und zu veränderten pharmakokinetischen Eigenschaften (lange Wirkdauer) bei, die das Risiko einer Überdosierung deutlich erhöhen:

  • Isotonitazen: Die analgetische Potenz von Isotonitazen übersteigt die vieler anderer synthetischer Opioide, einschließlich einiger Fentanyl-Analoga. Es hat einen schnellen Wirkeintritt und eine lange Wirkdauer [19].

  • Etonitazen: weist eine ähnliche chemische Struktur und Eigenschaften wie Isotonitazen auf [19].


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Wirkmechanismus

Synthetische Opioide wirken primär durch die Bindung an Opioidrezeptoren im zentralen Nervensystem, insbesondere an den µ‑Opioid-Rezeptoren. Diese Bindung führt zu einer Hemmung der Freisetzung von Neurotransmittern wie Glutamat und Substanz P, die an der Schmerzweiterleitung beteiligt sind [20]. Zusätzlich zur analgetischen Wirkung können synthetische Opioide auch Euphorie, Sedierung, Atemdepression und Miosis verursachen. Eine Stimulation der δ‑Rezeptoren wird für die körperliche Abhängigkeit verantwortlich gemacht. Die Effekte der Opioidrezeptoren zeigt [Tab. 3] [20]. Potenz und Wirkdauer variieren je nach chemischer Struktur und Pharmakokinetik der jeweiligen Substanz [19].

Tab. 3 Effekte der Opioidrezeptoren [20].

Opioidrezeptor

µ‑MOR

κ‑KOR

δ‑DOR

δ‑DOR = Delta-Opioidrezeptor; κ‑KOR = Kappa-Opioidrezeptor; μ‑MOR = Mu-Opioidrezeptor

endogener Ligand

β‑Endorphin

Dynorphin

Enkephalin

Effekte

  • starke Analgesie

  • starke Atemdepression

  • Euphorie

  • Toleranz

  • starke Abhängigkeit

  • Miosis

  • Bradykardie

  • Obstipation, Übelkeit

  • mäßige Analgesie

  • Sedierung

  • Dysphorie

  • Analgesie

  • Atemdepression

  • Toleranz

  • Abhängigkeit


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Wirkspektrum

Patienten mit Opioid-Überdosierung präsentieren sich meist in einem schläfrigen bis komatösen Zustand, wegweisend kann neben einer zusätzlichen Atemdepression auch eine ausgeprägte Miosis sein. Die Wirkung synthetischer Opioide fasst [Tab. 4] zusammen [20]. Als Antidot steht Naloxon zur Verfügung [1] [21].

Tab. 4 Nebenwirkungen und Komplikationen synthetischer Opioide [20].

Organsystem

Symptome

kardiovaskulär

Tachykardie

Bradykardie

Hypotonie

neurologisch

Bewusstlosigkeit

Koma

Miosis

pulmonal

Hypoventilation

Apnoe

andere

Hypothermie

Abszesse

Praxistipp

Für die Verdachtsdiagnose einer Opiat-Intoxikation erweisen sich neben dem Vorliegen des Toxidroms häufig die Drogen-/Suchtanamnese sowie körperliche Hinweise auf Drogenkonsum (Einstichstellen, Abszesse) als hilfreich.


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Mischpräparate

Fallbeispiel

Tranq-Dope

Vorstellung einer 29-jährigen Patientin in Notarztbegleitung, nachdem sie bewusstlos in ihrer Wohnung aufgefunden wurde. Die Patientin ist vor Kurzem aus ihrem Substitutionsprogramm ausgeschlossen worden, nachdem sie wiederholt gegen die Auflagen verstoßen hat. Infolgedessen habe sie sich laut Mitbewohnerin von einem Freund wohl Heroin beschafft. Nach dem Konsum verlor die Patientin rasch das Bewusstsein. Ihre Mitbewohnerin fand sie wenig später nicht ansprechbar und mit stark verlangsamter Atmung auf dem Sofa liegend und alarmierte sofort den Rettungsdienst.

Bei Eintreffen des Rettungsdienstes ist die Patientin bewusstlos, mit flacher und unregelmäßiger Atmung sowie einer stark reduzierten peripheren Sauerstoffsättigung (SpO2 78%). Der Puls ist schwach tastbar. Durch den Notarzt erfolgt die fraktionierte Gabe von Naloxon, was jedoch nur eine begrenzte Verbesserung der Atemfunktion bewirkt, sodass eine Atemwegssicherung mittels Intubation und invasiver Beatmung durchgeführt wird.

Aufnahmebefund

Patientin bewusstlos, intubiert, GCS 3. Vitalparameter: RR 85/45 mmHg, HF 38/min, Temperatur 36,1 °C, Atemfrequenz unter Beatmung 14/min. Cor: bradykard, rein, rhythmisch, keine Vitien. EKG: Sinusbradykardie, HF 38/min, PQ-Zeit 230 ms, QRS 100 ms, QT/QTc 410/380 ms.

Toxikologischer Befund

Im Drogenschnelltest (Urin) positiver Befund für Opioide. Mittels dezidierter toxikologischer Analytik können Pregabalin, Opiate und Methadon sowie Fentanyl und Xylazin nachgewiesen werden. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Patientin unwissentlich „Tranq-Dope“ konsumiert hat.

Laborbefunde

Respiratorische Azidose mit pH 7,19, pCO2 68 mmHg, Laktat 5,0 mmol/l, Kreatinin leicht erhöht, Kalium 4,0 mmol/l.

Verlauf

Es erfolgt die Aufnahme auf die toxikologische Intensivstation. Die Atemdepression zeigt sich trotz repetitiver Naloxongaben am ehesten aufgrund des Xylazins persistierend, welches nicht durch Opioid-Antagonisten neutralisiert werden kann. Die Patientin entwickelt eine ausgeprägte Hypotonie und erhält Volumen sowie Vasopressoren. Nach kurzem Weaning erfolgt die problemlose Extubation. Die Patientin zeigt sich für eine Entgiftung vom Beikonsum motivierbar und wird erneut in ein Substitutionsprogramm aufgenommen.

Neben den Einzelsubstanzen erfreuen sich in den letzten Jahren auch Mischpräparate –insbesondere „Tranq-Dope“ und „Benzo-Dope“ – zunehmender Beliebtheit auf dem europäischen Drogenmarkt [1]. Durch Kombination hochpotenter synthetischer Opioide mit weiteren Substanzen werden synergistische Effekte der Einzelsubstanzen potenziert.

Mit dem Begriff „Tranq-Dope“ wird die Kombination von Fentanyl und Xylazin – einem nicht für den menschlichen Gebrauch zugelassenem Beruhigungsmittel und α2-Rezeptor-Agonisten – bezeichnet, wohingegen „Benzo-Dope“ die Kombination von Fentanyl mit Benzodiazepinen (u. a. Alprazolam, Bromazolam oder Diazepam) beschreibt.

Merke

Von Mischpräparaten geht aufgrund der synergistisch sedativen und atemdepressiven Wirkung ein hohes Risiko für Intoxikationen und Todesfällen aus [22].

Die breite Verfügbarkeit und das Fehlen einer effektiven pharmakologischen Therapie zur Behandlung von Überdosierungen bei Intoxikation mit Mischpräparaten stellen eine ernsthafte Herausforderung für die Notfallversorgung dar. Die Anwendung von Naloxon, einem Opioid-Antagonisten, ist oft unzureichend, sodass begleitende intensivmedizinische Maßnahmen wie eine maschinelle Beatmung und medikamentöse Kreislaufunterstützung notwendig werden können [22] [23].


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Therapie von Intoxikationen mit NPS

Sofortmaßnahmen

Die initiale Therapie sollte sich stets am Zustand des Patienten orientieren und dem xABCDE-Schema folgen ([Tab. 5]). In Notfallsituationen sollten die Sicherung der Vitalfunktionen und eine symptomatische Behandlung, z. B. Einleitung sedierender Maßnahmen mittels Benzodiazepinen bei Agitation oder Aggressivität, im Vordergrund stehen. Bei Hyperthermie infolge des Konsums können neben der Sedierung auch eine aggressive externe Kühlung und ggf. eine Muskelrelaxierung (z. B. Off Label mit Dantrolen) notwendig werden [9] [10] [21].

Tab. 5 Für Intoxikation mit neuen psychoaktiven Substanzen (NPS) modifiziertes xABCDE-Schema [24] [25].

Kürzel

Begriff

Maßnahmen

x

eXternal Dangers sowie EXsanguination (Polytrauma)

  • Eigenschutz priorisieren: sichere Umgebung schaffen, ggf. polizeiliche Unterstützung hinzuziehen, Schutzmaßnahmen (Handschuhe, Maske)

  • bei begleitendem Trauma: lebensbedrohliche Blutung = sofortige Blutstillung

  • Umfeld analysieren: Hinweise auf die Intoxikation → während Erstversorgung Kontaktaufnahme GNR 089/19240

A

Airway

  • Fremdkörper entfernen

  • Freihalten der Atemwege

  • Antidote prüfen

B

Breathing

  • Atmung bewerten: Frequenz, Tiefe, Rhythmus, Sauerstoffsättigung

  • Atemdepression behandeln: ggf. Beatmung mit Beutel-Masken-Beatmung oder Sauerstoffgabe

  • bei Opioiden: Naloxon

  • bei fehlenden Schutzreflexen bzw. Vigilanzminderung + Erbrechen: Schutzintubation

  • spezifische Symptome erkennen: Rasselgeräusche (Aspirationspneumonie)

C

Circulation

  • Puls und Blutdruck messen: Hypotonie (z. B. bei Sedativa) oder Hypertonie (z. B. bei Stimulanzien)

  • 12-Kanal-EKG überwachen: Rhythmusstörungen bei Intoxikationen (z. B. Sinustachykardie jedoch auch kardiale Ischämiezeichen bei Stimulanzien)

D

Disability

  • Bewusstsein überwachen: GCS, Schutzreflexe

  • Pupillenreaktion: Miosis: Opioide; Mydriasis: Stimulanzien oder Anticholinergika

  • Blutzucker: Hypoglykämie

E

Exposure/Environment

  • Körperoberfläche untersuchen: Hautläsionen, Einstichstellen, Abszesse

  • Temperatur messen: Hyperthermie (bei Stimulanzien oder Serotonin-Syndrom), Hypothermie (bei Alkohol oder Sedativa)

  • vergiftungsspezifische Maßnahmen: Aktivkohle (binnen 60 min post ingestionem, Cave Kontraindikationen); Asservate: Urin und Blut für toxikologische Untersuchung

Aufgrund der Psychotropie der Substanzen dominieren bei Intoxikationen häufig neuropsychiatrische Symptome. Die Patienten können sich sowohl mit Erregungszuständen und Psychosen wie auch Bewusstseinsstörungen, Koma oder mit epileptischen Anfällen präsentieren.

Cave

Neben dem Konsum von psychotropen Substanzen sollten v. a. bei Bewusstseinsstörungen sowie generalisierten, tonisch-klonischen Anfällen stets nicht-Drogen-assoziierte Ursachen (z. B. intrazerebrale Blutungen, ZNS-entzündliche Erkrankungen) ausgeschlossen werden.

Im Falle einer intravenösen Substanzapplikation führen Verunreinigungen zu z. T. gefährlichen Begleiterscheinungen wie Abszessformationen, Endokarditiden und septischen Krankheitsverläufen und nicht selten zu Multiorganversagen.


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Toxidrome

Grundsätzlich sollte bei Verdacht auf eine Intoxikation als Ursache die Vergiftung mit NPS in Betracht gezogen werden, da sowohl der Mischkonsum als auch der Vertrieb von Mischpräparaten stetig zunimmt. Hierbei lassen sich v. a. in der Präklinik sowie in der Akutversorgung mögliche nächste therapeutische Schritte anhand von Vergiftungsbild, sog. Toxidromen, sowie Hinweisen aus der (Fremd-)Anamnese und dem Umfeld (Spritzenbesteck, Pfeife etc.) antizipieren.

Bei den Toxidromen lassen sich grob das Vergiftungsbild mit ZNS-Stimulation (wie Agitation, Aggressivität und Halluzinationen) und das mit ZNS-Depression (mit Somnolenz bis Koma und möglicher Atemdepression) unterscheiden ([Tab. 6]).

Tab. 6 Übersicht über Toxidrome und auslösende Substanzen [25].

Syndrom

Symptome

auslösende Substanzen

GHB = Gamma-Hydroxy-Buttersäure; NPS = neue psychoaktive Substanzen

anticholinerges Syndrom

Unruhe, Agitiertheit, Verwirrtheit, Halluzinationen, Mydriasis, heiße und trockene Haut, Hyperthermie

  • Atropin

  • Antihistaminika

  • Skopolamin

  • Antidepressiva

cholinerges Syndrom

Tränenfluss, Miosis, Schwitzen, Bronchorrhö, Erbrechen, Bradykardie, Bewusstseinsstörung, Krampfanfälle

  • Physostigmin

  • muskarinhaltige Pilze

  • Alkyl-Organophosphate

Opioidsyndrom

Miosis, Ateminsuffizienz, Bewusstseinsstörung, verringerte Darmmotilität

  • Opiate (Morphin, Heroin u.v.m.)

  • synthetische Opioide

Sedativa-/Hypnotikasyndrom

Müdigkeit, Euphorie, entaktogene Wirkung, Narkose, Bradykardie, Hypothermie, Hyperreflexie

  • Ethanol

  • Barbiturate

  • Benzodiazepine

  • GHB

  • Lösemittel

Stimulanziensyndrom

Unruhe, Agitation, Tachykardie, Mydriasis, heiße und feuchte Haut, Hyperreflexie, Hyperthermie, Krampfanfall

  • Amphetamine

  • Kokain

  • Koffein

  • Cathinone

  • NPS

Vergiftungsbild mit führender ZNS-Stimulation

Bei Patienten mit führend ZNS stimulierenden Symptomen steht die symptomatische Therapie im Vordergrund. Mittel der Wahl sind hier v. a. Benzodiazepine, um sowohl Erregungszustände zu mildern als auch zerebrale Krampfanfälle zu behandeln. Die symptomatische Therapie entsprechend den betroffenen Organsysteme wird in [Tab. 7] aufgezeigt.

Tab. 7 Symptomatische Therapie entsprechend den betroffenen Organsystemen.

Organsystem

Symptome

NPS

Therapie

* andere Psychotika: v. a. Phenethylamine (Halluzinogene wie 2C-T und Mescalin-Derivate)

ZNS

Agitation, Halluzinationen

Cathinone, Cannabinoide, andere Psychotika*

  • Sedativa, v. a. Benzodiazepine, alternativ Propofol, Esketamin

  • bei anhaltenden Symptomen hochpotente Antipsychotika (D2-Rezeptor-Antagonisten, z. B. Haloperidol)

Krampfanfälle

Cathinone, Cannabinoide, Entzugssyndrom

  • Durchbrechen des Anfalls mit Benzodiazepinen, alternativ mit Levetiracetam

Hyperthermie

Cathinone

  • externe Kühlung

  • Volumengabe

  • ggf. Muskelrelaxierung/Dantrolengabe (Off Label)

Herz

Tachykardie

Cathinone, Cannabinoide

  • Benzodiazepine + ggf. Flüssigkeitssubstitution bei Sinustachykardie (Agitation bzw. Hypovolämie als Ursache)

  • leitliniengerechte Behandlung je nach Form der Herzrhythmusstörung bis hin zu kardiopulmonaler Reanimation

Angina pectoris

Cathinone

  • symptomatische Analgesie, ggf. Frequenzkontrolle/Behandlung Agitation

  • kardiale Diagnostik (TTE, ggf. HKU)

Niere und ableitenden Harnwege

akutes Nierenversagen

Cathinone

  • ggf. forcierte Diurese bei gleichzeitiger Rhabdomyolyse

  • Dialysetherapie

Harnverhalt

Cathinone

  • Anlage Blasenkatheter

Leber

Leberversagen

Cathinone

  • am ehesten sekundärer Leberschaden, daher Behandlung der primären Ursachen

muskuloskelettales System

Rhabdomyolyse

Cathinone

  • forcierte Diurese

Dyskinesien

Cannabinoide, Cathinone

  • Benzodiazepine

  • ggf. Biperiden


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Vergiftungsbild mit führender ZNS-Depression

Bei einem Vergiftungsbild mit führender ZNS-Depression gilt es in der Akutversorgung 2 Punkte besonders herauszugreifen: eine mögliche Antidotgabe sowie die Schutzintubation im Rahmen der oben erwähnten Sicherung der Vitalfunktionen. Bei der ZNS-Depression stehen die Vigilanzminderung mit einem möglichen Fehlen der Schutzreflexe (Husten-, Schluck- und Würgereflex) und konsekutivem Aspirationsrisiko sowie die Atemdepression und daraus resultierende respiratorische Insuffizienz im Vordergrund. Hier können klinische Zeichen wie v. a. die Miosis und Bradypnoe sowie Koma helfen, eine Opioidintoxikation von einer Vergiftung mit anderen Sedativa zu unterscheiden.


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Antidota

Naloxon

Bei Verdacht auf eine Intoxikation mit Opioiden steht das bereits erwähnte Antidot Naloxon zur Verfügung. Aufgrund eines durch die Naloxongabe verursachten Entzugssyndroms empfiehlt es sich, dieses fraktioniert – bis zum Erhalt des Atemantriebs sowie der Rückkehr der Schutzreflexe – zu applizieren. Aufgrund der höheren Affinität synthetischer Opioide zu den Rezeptoren kann eine höhere Naloxondosis für die Aufhebung der Wirkung am Rezeptor erforderlich sein als bei der klassischen Opioidvergiftung [26].

Aufgrund der langen Wirkdauer – insbesondere bei Nitazenen – sind wiederholte Naloxongaben oder die Verabreichung via Perfusor und eine intensivmedizinische Überwachung notwendig. Intravenös verabreicht wirkt Naloxon innerhalb von 2–5 min und hält meist 30–60 min an. Intramuskulär oder nasal dauert der Wirkungseintritt etwas länger (ca. 5–15 min), mit einer ähnlichen Wirkdauer.


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Flumazenil

Als weiteres Antidot bei ZNS-Depression durch Vergiftungen mit Benzodiazepinen steht dem Notfall- und Intensivmediziner Flumazenil zur Verfügung. Bei Intoxikationen mit neuen synthetischen Benzodiazepinen kann Flumazenil ebenfalls wirksam sein, aufgrund hoher Rezeptoraffinitäten der synthetischen Substanzen können auch hier höhere Dosierungen erforderlich werden [13] [27]. Flumazenil kann insbesondere hilfreich sein, um eine sonst bestehende Indikation zur Intubation noch zu vermeiden.

Cave

Die Indikation zur Anwendung von Flumazenil sollte bei Patienten mit Benzodiazepin-Abhängigkeit oder bei gleichzeitiger Einnahme von prokonvulsiven Substanzen (z. B. trizyklischen Antidepressiva) streng gestellt werden, da ein Benzodiazepin-Entzugssyndrom mit Krampfanfällen ausgelöst werden könnte.

Antidota als spezifische Therapie spielen außer bei der Behandlung von Intoxikationen mit Opioiden (Naloxon) und Benzodiazepinen (Flumazenil) kaum eine Rolle.

Aufgrund der langen Halbwertszeit vieler neuer synthetischer Benzodiazepine und der Möglichkeit einer erneuten Sedierung nach der Einmalgabe von Flumazenil (Wirkdauer: 30 min bis 1 h) ist eine engmaschige und verlängerte Überwachung der Patienten unerlässlich. Als Daumenregel zur Überwachung eines mischintoxikierten Patienten gilt die Monitor- bzw. intensivmedizinische Überwachung von mind. 24 h, da nach initialer Beschwerdebesserung erneut Symptome auftreten können (z. B. bei Flubromazolam). Sind z. B. nach Nachweis mittels GC-MS oder LC-MS die genauen Substanzen bekannt, kann der Überwachungszeitraum anhand der Halbwertszeiten genauer abgeschätzt werden.


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Toxikologische Diagnostik

Die obigen Ausführungen heben auch die klinische Relevanz einer – wenn vorhanden – ausführlicheren toxikologischen Diagnostik hervor.

Praxistipp

Es sollten Asservate (Urin sowie EDTA/Serum und ggf. Rückstände der Substanzen) für eine weitergehende toxikologische Analyse abgenommen werden. Die Probenabnahme sollte möglichst vor iatrogener Medikamentengabe erfolgen, um die Diagnostik nicht zu verfälschen.

Auch ein Drogen-Screening (z. B. Kassettenschnelltest) bzw. die Bestimmung des Blutalkohols kann hilfreich sein, um eine mögliche Antidotgabe bei zunehmender Vigilanzminderung zu antizipieren. Leider ist jedoch gerade bei Vergiftungen mit NPS das Drogen-Screening falsch negativ, sodass therapeutische Entscheidungen primär auf den oben beschriebenen klinischen Kriterien beruhen sollten.

Merke

Die veränderte chemische Struktur der neuen psychoaktiven Substanzen stellt die Analytik stets vor neue Herausforderungen. Die meisten der oben genannten Substanzen können mittels herkömmlicher Drogenschnelltests nicht ausreichend zuverlässig detektiert werden, sodass die Analytik in einem speziellen Zentrum zu empfehlen ist.


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Intubation und maschinelle Beatmung

Aufgrund der vermehrten Verwendung von Mischpräparaten (wie Tranq-Dope) sowie der hohen Rezeptoraffinität und Wirkdauer der Substanzen können Vergiftungssymptome trotz Anwendung von Flumazenil oder Naloxon persistieren, sodass intensivmedizinische Maßnahmen wie die endotracheale Intubation und maschinelle Beatmung notwendig werden können. Zur Indikationsstellung einer Schutzintubation bei Intoxikationen sei angemerkt, dass hier der GCS – als traumatologischer Score – nicht ausschlaggebend ist. Tatsächlich scheint eine konservative Strategie mit Zurückhaltung der Intubation mit einem größeren klinischen Nutzen (weniger Versterben im Krankenhaus, verkürzte Aufenthaltsdauer auf Intensivstation und im Krankenhaus) assoziiert zu sein [28]. Stattdessen erscheint für die Praxis das Erfüllen eines der folgenden Kriterien eine klare Indikation zur Schutzintubation: Vigilanzminderung mit Erbrechen, Krampfanfall, respiratorische Insuffizienz sowie das Fehlen von Schutzreflexen.

Praxis

Allgemeine Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie

  • EKG-Kontrolle

  • Monitoring der Vitalfunktionen

  • Kontrolle von Laborwerten (Elektrolyte, Leber-, Nierenwerte, Gerinnungsdiagnostik)

  • Entzündungsparameter

  • CK (Ausschluss Rhabdomyolyse)

  • Urinanalyse

  • toxikologisches Screening, sofern verfügbar

  • Blutzuckerdiagnostik

  • Alkoholtest

Eine umfassende Therapie sollte stets auch das Angebot einer anschließenden Entgiftungsbehandlung und die Vermittlung einer Entwöhnungstherapie für die Betroffenen beinhalten.


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Fazit

Die hohe Zahl jährlich detektierter „neuer psychoaktiver Substanzen“ sowie die damit verbundene Anzahl an Todesfällen zeigt das gesellschaftliche Risikopotenzial und macht die Notwendigkeit der stetigen juristischen Anpassung des 2016 in Kraft getretenen Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes (NPSG) deutlich. Sowohl Therapeuten als auch betroffene Patienten sollten für die unkontrollierte Wirkweise, die variablen Wirkstoffkonzentrationen und die z. T. fehldeklarierten NPS sensibilisiert werden. Das Mismatch der vermeintlich gekauften und konsumierten Substanzen zu den tatsächlich nachgewiesenen Substanzen, gezeigt durch Zellner et al. [29], verdeutlicht das Risiko für Intoxikationen und schwerwiegende gesundheitliche Folgen.

In der Schweiz und Österreich existieren hierfür bereits seit mehreren Jahren Kompetenzzentren für Konsumenten von „Freizeitdrogen“, z. B. in Wien mit dem Namen „Checkit!“ [30]. Diese bieten neben einer persönlichen Beratung auch eine Telefon- und Onlineberatung an und geben wertvolle Informationen zum Thema Drogen und NPS. Neben dem umfassenden Informations- und Beratungsangebot werden Termine zum „Drug Checking“ angeboten, die es den Konsumenten ermöglichen, erworbene Substanzen analysieren zu lassen. In der Vergangenheit war es damit bereits mehrfach möglich, u. a. synthetische Opioide mit hohem Wirkpotenzial im Vergleich zu Morphin zu identifizieren und die Verbraucher vor dem Konsum und vor Überdosierungen zu warnen. Im Juni 2023 wurde im Deutschen Bundestag eine bundesweite Regelung zu Drug-Checking-Modellen beschlossen, sodass dieses Angebot für Konsumierende nun auch in Deutschland Anwendung finden sollte.

Kernaussagen
  • Mit der Bezeichnung „neue psychoaktive Substanzen (NPS)“ wird eine Gruppe von neuen und älteren psychotropen Stoffen bezeichnet, deren Vertrieb hauptsächlich über das Internet erfolgt.

  • Die EUDA veröffentlicht jährlich einen Drogenbericht, der Informationen aus den EU-Mitgliedstaaten, der Türkei und Norwegen enthält, Drogentrends aufdeckt und eine Risikobewertung durchführt.

  • Bei NPS handelt es sich um „Research Chemical Drugs“, deren Konsum nicht für den Menschen geeignet ist. Die Wirkungsintensität und Wirkdauer der Substanzen ist aufgrund uneinheitlicher Herstellungsprozesse und fehlender Kennzeichnung der Produkte nicht vorhersehbar.

  • NPS beeinflussen eine Vielzahl von Neurotransmittern, die Vergiftungssymptome sind komplex und häufig nicht einem einzelnen Toxidrom zuzuordnen.

  • Therapie der Wahl bei Vergiftungen mit NPS ist eine symptomorientierte Behandlung, der Einsatz von Benzodiazepinen zur Sedierung wird bevorzugt, Antipsychotika können bei Halluzinationen ergänzt werden.

  • Der Konsum von NPS kann mit lebensbedrohlichen Komplikationen einhergehen, z. B. Abszessformationen, Sepsis, septischen Embolien, Gerinnungsstörungen und Multiorganversagen.

  • Der Substanznachweis gestaltet sich häufig schwierig und erfordert spezielle Analysemethoden sowie oft eine Weiterleitung der Asservate an spezialisierte Labors.


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Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen

Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag ist Dr. med. Franziska Helfrich, München, Deutschland.


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Zitierweise für diesen Artikel

Intensivmedizin up2date 2025; 21: 37–56. DOI: 10.1055/a-2344-0363
Dieser Beitrag ist eine aktualisierte Version und ersetzt den folgenden Artikel: Schmoll S, Eyer F. Intoxikationen mit neuen psychotropen Substanzen/Designerdrogen. Intensivmedizin up2date 2019; 15: 53–68. DOI: 10.1055/a-0621-0844


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Dr. med. Franziska Helfrich


Studium der Humanmedizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Promotion an der Technischen Universität München. 2020-2022 Assistenzärztin in der Weiterbildung zum Facharzt für Innere Medizin am Helios Amper Klinikum Dachau, ab 2022 in der Abteilung Klinische Toxikologie und Giftnotruf München des TUM Universitätsklinikums (ehemals Klinikum rechts der Isar München).

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Prof. Dr. med. Florian Eyer


Studium und Promotion an der LMU München. Anschschließend Wechsel an das TUM Universitätsklinikums (ehemals Klinikum rechts der Isar München). Seit 2007 Internist mit den Zusatzbezeichnungen Intensivmedizin, Suchtmedizin und klinischer Toxikologe (GfKT). 2010 Habilitation und 2012 Berufung zum Professor. Seither Leitung der Abteilung für klinische Toxikologie und Giftnotruf München in Chefarztposition.

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Dr. med. Sabrina Schmoll


Studium der Humanmedizin an der Technischen Universität München. Seit 2015 in der Abteilung Klinische Toxikologie und Giftnotruf München des TUM Universitätsklinikums (ehemals Klinikum rechts der Isar München), seit 2025 als Oberärztin und seit 2021 Internistin mit den Zusatzbezeichnungen Intensivmedizin, Notfallmedizin, Suchtmedizin und klinische Toxikologin (GfKT).

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Interessenkonflikt

Erklärung zu finanziellen Interessen
Forschungsförderung erhalten: nein; Honorar/geldwerten Vorteil für Referententätigkeit erhalten: nein; Bezahlter Berater/interner Schulungsreferent/Gehaltsempfänger: nein; Patent/Geschäftsanteile/Aktien (Autor/Partner, Ehepartner, Kinder) an Firma (Nicht‐Sponsor der Veranstaltung): nein; Patent/Geschäftsanteile/Aktien (Autor/Partner, Ehepartner, Kinder) an Firma (Sponsor der Veranstaltung): nein
Erklärung zu nichtfinanziellen Interessen
Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Dr. med. Franziska Helfrich
Toxikologische Abteilung der II. Medizinischen Klinik, TUM Universitätsklinikum Klinikum rechts der Isar
Ismaninger Str. 22
81675 München
Deutschland   

Prof. Dr. med. Florian Eyer

Publication History

Article published online:
05 March 2025

© 2025. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany


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Abb. 1 Beispiel für ein synthetisches Cannabinoid. (Quelle: Toxikologisches Labor, Asservate, Abteilung für Toxikologie und Giftnotruf München, Medizinische Klinik und Poliklinik II, TUM Universitätsklinikum, School of Medicine and Health, Technische Universität München)
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Abb. 2 a Natürlich vorkommende Cannabinoide; b missbräuchlich verwendete, semisynthetische Cannabinoide – die Molekülstruktur ähnelt der natürlichen Ursprungssubstanz; c missbräuchlich verwendete, synthetische Cannabinoide – Benzoyl- und Naphtholgruppen sorgen u. a. für eine höhere Cannabinoid-Rezeptor-Affinität [5] [6].
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Abb. 3 Synthetische Cathinone und ihre strukturelle Verwandtschaft mit den Amphetaminen MDMA und Methamphetamin [5] [9].
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Abb. 4 Beispiel für synthetische Cathinone. (Quelle: Toxikologisches Labor, Asservate, Abteilung für Toxikologie und Giftnotruf München, Medizinische Klinik und Poliklinik II, TUM Universitätsklinikum, School of Medicine and Health, Technische Universität München)
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Abb. 5 Synthetische Opioide (Gruppen) [17] [31].
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Abb. 6 Opiate. a Morphin; b das Antidot Naloxon [17] [19].