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DOI: 10.1055/a-2123-5367
Schnelle Traumauntersuchung – Schritt für Schritt
- Abkürzungen
- Indikation
- Schritt 1 Untersuchung des Kopfs
- Schritt 2 Untersuchung der Halsregion
- Schritt 3 Untersuchung des Brustkorbs
- Schritt 4 Untersuchung des Abdomens
- Schritt 5 Untersuchung des Beckens und der Oberschenkel
- Schritt 6 DMS-Kontrolle der Extremitäten
- Schritt 7 Untersuchung der Wirbelsäule
- Schritt 8 Neurologische Untersuchung
- Literatur
Es ist rettungsdienstlicher Standard, dass verunfallte Patienten einer körperlichen Untersuchung unterzogen werden, um etwaige Verletzungen festzustellen und diese sach- und fachgerecht zu versorgen. Die Entscheidung, welcherart und damit einhergehend mit welcher Intensität untersucht wird, hängt meist von unterschiedlichen Faktoren ab. Häufig spielen tatsächlicher oder vermuteter Verletzungsmechanismus, Angabe der Patienten und/oder Augenzeugen und Ersthelfer hier eine entscheidende Rolle.
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Abkürzungen
Die am Markt befindlichen Traumaversorgungssysteme wie PHTLS und ITLS etablieren in ihren Kursprogrammen auch körperliche Untersuchungen.
Diese Unterscheidung liegt einerseits in den verwendeten Begrifflichkeiten und Schwerpunkten und andererseits in den Zielen bzw. den Konsequenzen.
Im vorliegenden Artikel soll eine Schritt-für-Schritt-Anwendung des ITLS-Untersuchungsalgorithmus beschrieben werden. Der ITLS-Algorithmus startet mit der Beurteilung der Einsatzstelle bereits im Fahrzeug oder spätestens am Einsatzort. Die enthaltenen Punkte sind [1]:
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Notwendigkeit persönlicher Schutzausrüstung?
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Gefahren an der Einsatzstelle?
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Patientenanzahl?
-
weitere Einsatzkräfte oder Ausrüstung erforderlich?
-
Verletzungsmechanismus?
Nachdem auf Basis der genannten Punkte die Einsatzstelle beurteilt wurde und vom den Patienten versorgenden Personal die Entscheidung getroffen wurde, dass an dieser Einsatzstelle mit der sicheren individuellen Patientenbehandlung begonnen werden kann, erfolgt die Ersteinschätzung des Patienten. Der Ersteindruck wird mittels WASB-Schema erhoben. Diesem folgt eine initiale cABC-Untersuchung.
Die Ersteinschätzung hat den Zweck, lebensbedrohliche Zustände schnellstmöglich zu erkennen und auf Basis des sogenannten „Fix it“-Prinzips zu behandeln.
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Indikation
Die schnelle Traumauntersuchung wird immer dann angewendet, wenn die behandelnde Person zu der Einschätzung gekommen ist, dass der vorliegende Verletzungsmechanismus als „generalisiert“ – also den ganzen, oder einen erheblichen Teil des Körpers betreffend – oder „unbekannt“ einzugruppieren ist.
Klassische Beispiele für einen „generalisierten“ Verletzungsmechanismus sind:
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Sturz aus großer Höhe,
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Einklemmungssituationen nach Verkehrsunfall,
-
Überrolltraumata,
-
Explosionsverletzungen.
Ein „unbekannter“ Verletzungsmechanismus liegt beispielsweise vor bei einer bewusstlosen Person, die von Passanten in einer größeren Blutlache vorgefunden wurde.
Es scheint ratsam auch bei allen Patient*innen, die bewusstlos sind und bei denen keine eindeutige Ursache für die Bewusstlosigkeit attestiert werden kann (z.B. Schuss in den Schädel), eine schnelle Traumauntersuchung durchzuführen, um nichts zu übersehen [1].
Um die schnelle Traumauntersuchung durchzuführen, befindet sich der oder die Patient*in optimalerweise in Rückenlage und wurde situationsgerecht entkleidet, wobei auf ausreichenden, gleichzeitig etablierten Wärmeerhalt zu achten ist. Der Kopf wird während der gesamten Untersuchung manuell inline-stabilisiert.
Auf die Gabe von Sauerstoff und die Entkleidung des Mimen sowie das Tragen der vollständigen Schutzausrüstung wird im Bildmaterial bewusst verzichtet.
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Schritt 1 Untersuchung des Kopfs
Die schnelle Traumauntersuchung beginnt am Schädel und umfasst zunächst eine optische Beurteilung. Platzwunden, Blut- oder anderer Substanzaustritt, Hämatome, Abschürfungen sind zunächst in Augenschein zu nehmen.
Die visuelle Beurteilung und die damit einhergehenden Gütekriterien werden an dieser Stelle nur einmal erwähnt. Aufgrund der besseren Lesbarkeit werden diese nicht an jeder Körperregion wiederholt. Die Autoren setzen aber voraus, dass die in Augenscheinnahme an jeder Körperpartie wiederholt und angewendet wird.
Fremdkörper
Als Ergänzung für alle Untersuchungsschritte gilt, dass auf eingedrungene Fremdkörper geachtet werden soll. Finden sich eingedrungene Fremdkörper, werden diese nicht entfernt, sondern entsprechend fixiert. Eine Ausnahme stellen Fremdkörper dar, die den Atemweg verlegen oder eine Größe besitzen, die einen regelhaften Transport verhindern würden.
Anschließend wird der Hirnschädel abgetastet und auf Instabilitäten, Impressionsfrakturen, Krepitationen, tastbare Schwellungen und auslösbare Schmerzen geachtet ([Abb. 1]). Im Anschluss sollen die behandschuhten Hände auf Substanzanhaftungen kontrolliert werden.


Ein Abtasten des Gesichtsschädels ist im Regelfall nur dann notwendig, wenn es klare Anzeichen für ein Gesichtsschädeltrauma gibt. Typische Herausforderungen des Gesichtsschädeltraumas wie eine Schwellung des Atemwegs oder intensiver Blutfluss und damit ein gefährdeter Atemweg lassen sich meist schon in der Ersteinschätzung identifizieren.
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Schritt 2 Untersuchung der Halsregion
Im Anschluss an den knöchernen Schädel wird der Nacken untersucht. Fehlstellungen, auslösbare Schmerzen über den Wirbelkörpern, Instabilitäten und Krepitationen sind im Tastbefund festzustellen oder zu widerlegen ([Abb. 2]). Nachdem der Nacken untersucht wurde, schließt sich die Untersuchung der Halsvorderseite bzw. Halsweichteile an. Strangmarken, Kehlkopfverletzungen sind hier ebenso zu detektieren wie gestaute Halsvenen, Kragenzyanose und offene Verletzungen.


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Schritt 3 Untersuchung des Brustkorbs
Es folgt die Untersuchung des Brustkorbs.
Visuell
Sollte die visuelle Untersuchung ergeben, dass eine offene Verletzung vorliegt, so werden alle Penetrationswunden zwischen den Schlüsselbeinen und dem Bauchnabel mittels Okklusivverband verschlossen.
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Palpation
Danach wird der Thorax in 2 Ebenen palpiert. Hierzu wird zunächst sanfter seitlicher Druck ([Abb. 3]) und dann senkrechter Druck auf die knöchernen Strukturen ausgeübt. Besonders bei Patienten weiblichen Geschlechts ist hier Vorsicht walten zu lassen. Ein umsichtiger Umgang mit den sekundären Geschlechtsmerkmalen ist vorausgesetzt.


Für alle Untersuchungen gilt das Credo „do not further harm“; das bedeutet auch, dass sobald ein schmerzhafter Stimulus durch die Untersuchung ausgelöst wurde, die schmerzende Körperpartie nicht weiter untersucht wird.
Gerade bei Verletzungen des Brustkorbs ist auf das Auftreten von Hautemphysemen zu achten. Unnatürliche „Schwellungen“ im Bereich der Brust und des Halses können ein Anzeichen sein, ebenso wie eine „Verschiebbarkeit“ und ein knisterndes Gefühl bei der Palpitation.
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Auskultation und Perkussion
Erstmals wird nun ein Hilfsmittel verwendet. Es schließt sich die Auskultation mittels Stethoskop an. Der Linke und der rechte Lungenflügel werden nun abgehört, wobei die Reihenfolge unerheblich ist. Die Auskultation erfolgt an mindestens einem Punkt pro Lungenflügel, mehr als 2 Punkte pro Seite zu auskultieren ist nicht notwendig. Ziel ist es, zunächst eine Luftbewegung festzustellen und mögliche Pathologien in einen Kontext mit dem vorliegenden Verletzungsmechanismus und weiteren Befunden wie dem Füllungsstand der Halsvenen, Vitalzeichen und ähnliches zu setzen.
Bei Verdacht auf ein fehlendes oder abgeschwächtes Atemgeräusch kann und sollte eine Perkussion erfolgen.
Nach der Auskultation der Lungenflügel werden mittels Stethoskop noch die Herztöne über dem Erb-Punkt abgehört. Besonders bei erneuter Auskultation der Herztöne ist es wichtig, festzustellen, ob diese gleich gut hörbar sind oder ob diese ggf. gedämpft oder dumpfer hörbar sind. Dieser Umstand ist dann in Zusammenhang mit der Verletzungsart und weiteren Befunden wie der Beurteilung der Halsvenen und der Vitalzeichen zu setzen.
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Schritt 4 Untersuchung des Abdomens
Anschließend wird das Abdomen untersucht.
Ergänzend zu den vorangegangenen Ausführungen sei gesagt, dass austretende Organe, Organanteile oder Substanzen – unabhängig von der Körperregion – nicht in den Körper zurückgedrückt werden, sondern in vorgefundener Position keimarm und ggf. feucht (besonders bei austretenden Darmschlingen) abgedeckt werden.
Das Abdomen wird – wie bekannt – in 4 gedachte Quadranten aufgeteilt und beginnend im rechten, oberen Quadranten im Uhrzeigersinn palpiert. Abwehrspannung, auslösbare Schmerzen oder andere Reaktionen sind dabei zu registrieren ([Abb. 4]). Besonderes Augenmerk sei hierbei auf potenziell schwangere Patientinnen gelegt, bei denen, abhängig vom Gestationsstadium und Fundusstand, die abdominelle Untersuchung deutlich erschwert sein kann.


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Schritt 5 Untersuchung des Beckens und der Oberschenkel
Das nun folgende, knöcherne Becken wird nach dem bekannten KISS-Schema (s. Übersicht) untersucht. Alternativ kann auch das SKIP Schema angewendet werden. Zusatzbefunde, die sich aus der Untersuchung des Beckens ergeben können, sind u.a. auch ein Priapismus, Blutungen aus der Harnröhre, unwillkürlicher Urin- und/oder Stuhlabgang, Blutungen und Schwellungen im Bereich der primären Geschlechtsorgane.
KISS-Schema zur Untersuchung von Beckenverletzungen
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K = Kinematik
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I = Inspektion
-
S = Schmerzen/schmerzhafter Stimulus
-
S = Stabilisierung/Stabilitätskontrolle
Die Oberschenkel folgen im Anschluss ([Abb. 5]). Neben dem Seitenvergleich ist zu beachten, dass es einiges an Kraft in den Händen benötigt, um mögliche Krepitationen oder Instabilitäten festzustellen, da der Oberschenkelknochen an sich sehr dick und gleichzeitig das ihn umgebende Gewebe sehr massiv sein kann.


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Schritt 6 DMS-Kontrolle der Extremitäten
Es schließt sich nun eine orientierende Untersuchung der unteren Extremitäten und der beiden Arme an. Die Extremitäten sind mittels einer als bekannt vorauszusetzenden DMS-Kontrolle (s. Übersicht) zu untersuchen. Bei der DMS-Kontrolle handelt es sich nicht um eine neurologische Untersuchung, sondern primär um eine Untersuchung der afferenten und efferenten Nervenfasern in der Peripherie, gepaart mit einer Einschätzung der Durchblutungssituation. Gleichwohl gibt dieser Untersuchungsschritt aber auch Auskunft darüber, ob eine Rückenmarkverletzung vorliegt, und ist Bestandteil einer Einschätzung des neurologischen Status mittels der Glasgow-Coma-Scale.
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Schritt 7 Untersuchung der Wirbelsäule
Anhängig von der Umgebung, in welcher die schnelle Traumauntersuchung durchgeführt wird, können nun 2 Schritte kombiniert werden. Sofern der/die Patient*in noch nicht auf einem Rettungsgerät wie einer Schaufeltrage oder dem Spineboard liegt, kann das nun folgende Log-Roll-Manöver auch zum Umlagern genutzt werden. Anderenfalls muss eine geeignete Technik zur Untersuchung des Rückens gewählt werden.
Optimalerweise in Seitenlage wird nun die Wirbelsäule untersucht. Krepitation, Fehlstellungen und Schmerzen sowie fokal-neurologische Ausfälle sollten hier, sofern vorliegend, erkannt werden.
Spätestens an dieser Stelle sollten auch die Flanken des/der Patient*in untersucht werden, da Verletzungen der Nieren nicht mit einer abdominellen Abwehrspannung einhergehen.
Anschließend wird der/die Patient*in entweder auf dem Rettungs- bzw. Transportgerät in Rückenlage fixiert oder eine andere Position gewählt und bequem gelagert.
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Schritt 8 Neurologische Untersuchung
Sofern die vorangegangene Einschätzung des mentalen Status des/der Patient*in keinerlei Auffälligkeiten in der Ersteinschätzung mittels WASB-Schema ergeben hatte, ist die körperliche schnelle Traumauntersuchung nun abgeschlossen, und der Transport oder weitere Maßnahmen vor Ort schließen sich an. Sofern die Einschätzung des initialen mentalen Status ein A (= Reagiert auf Ansprache) oder schlechter ergeben hatte, erfolgt noch eine neurologische Untersuchung als Bestandteil der schnellen Traumauntersuchung (Inhalte s. Infobox).
Neurologische Untersuchung im Rahmen der schnellen Traumauntersuchung
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beidseitige Pupillenkontrolle
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präzise Bestimmung des Glasgow Coma Score
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Blutzuckerbestimmung
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Suche nach Einklemmungszeichen
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Suche nach Intoxikationen
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Suche nach medizinischen Ausweisen oder Anhaltspunkte für Vorerkrankungen und/oder Dauermedikation, die einen verminderten GCS erklären
Im Verlauf des Transports wird eine regelmäßige Verlaufskontrolle etabliert, um den Patientenzustand bis zur Abgabe im Krankenhaus engmaschig zu überwachen.
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Interessenkonflikt
Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Literatur
- 1 Alson RL, Han KH, Campbell JE. et al. In: Pohl K, Molter E, Dettmar R. , Hrsg. Präklinische Traumatologie. Göttingen: Hogrefe; 2004
Korrespondenzadresse
Publication History
Article published online:
11 February 2025
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Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 Alson RL, Han KH, Campbell JE. et al. In: Pohl K, Molter E, Dettmar R. , Hrsg. Präklinische Traumatologie. Göttingen: Hogrefe; 2004













