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DOI: 10.1055/s-2005-921033
Patientenverfügungen in der präklinischen Notfallmedizin: Eine Befragung von Notärzten
Advance Directives in the Prehospital Setting - Emergency Physicians’ Attitudes Die hier publizierten Daten sind Teil der Inauguraldissertation von Herrn Mathias A. GerthPublication History
Publication Date:
16 December 2005 (online)

Zusammenfassung
Ziel der Studie: Patientenverfügungen werden auch in der präklinischen Notfallmedizin angetroffen.
Mit Hilfe einer Befragung von Notärzten sollten die Erfahrungen mit derartigen Verfügungen
in Notfallsituationen sowie Erwartungen an Form und Inhalt aus notärztlicher Sicht
analysiert werden.
Methodik: Alle Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft in Norddeutschland tätiger Notärzte e. V.
(AGNN) erhielten einen zweiseitigen Fragebogen zugesandt (2. Jahreshälfte 2001).
Ergebnisse: 511 Rücksendungen konnten ausgewertet werden, entsprechend einem Anteil von 50,4
% der AGNN-Mitglieder. 75 % der Befragten waren aktuell als Notärzte tätig, 72 % gaben
eine notärztliche Erfahrung von mehr als 5 Jahren an. Ein Drittel der Befragungsteilnehmer
hatte bereits in einer präklinischen Notfallsituation Kontakt mit einer Patientenverfügung.
77 % dieser Gruppe hielten eine Verfügung grundsätzlich für hilfreich. 88 % verwiesen
allerdings darauf, ihre Entscheidung jeweils in Abhängigkeit von den individuellen
Umständen des Einsatzes zu treffen (wie Notfallbedingungen, Grunderkrankung, Prognose),
lediglich 7 % gaben eine grundsätzlich uneingeschränkte Befolgung der Aussagen in
der Patientenverfügung an. Inhaltliche Anforderungen an eine Patientenverfügung aus
notärztlicher Sicht waren klare Angaben zu Wiederbelebungsmaßnahmen (88 %), einer
Intensivtherapie (75 %) und allgemein zur Notfallbehandlung vor Ort (55 %). Befürwortet
wurde die Dokumentation von Grunderkrankungen (87 %) in der Patientenverfügung, sowie
die Verbindung mit einer Vorsorgevollmacht (84 %). Nahezu jeder zweite wünschte eine
behördliche bzw. notarielle Beglaubigung (49 %) und/oder eine Bestätigung durch den
Hausarzt (47 %). Die Verfügung sollte am Körper bei den Ausweispapieren aufbewahrt
werden (84 %). Eine regelmäßige Aktualisierung der Unterschrift im Abstand von einem
halben bis einem Jahr wünschten 64 % der Befragten. Die geltende Rechtslage zum Umgang
mit Patientenverfügungen wurde von 81 % der Kolleginnen und Kollegen als unklar eingeschätzt.
85 % befürworteten einen einheitlichen, offiziell autorisierten Vordruck.
Schlussfolgerung: Der hohe Fragebogenrücklauf spiegelt die Relevanz der Thematik „Patientenverfügung”
auch für Notärzte wider. Kolleginnen und Kollegen mit konkreter Erfahrung im Umgang
mit Patientenverfügungen im Notfalleinsatz beurteilten solche Dokumente mit großer
Mehrheit trotz unsicherer Rechtslage als hilfreich. Eine klare Aussage zur Frage der
Wiederbelebung und eine Vereinheitlichung der Vordrucke sind einige wesentliche Forderungen
an Form und Inhalt aus der Sicht der Notfallmediziner. Ein Lösungsweg könnte eine
entsprechend zu konzipierende spezielle Notfall(zusatz-)verfügung sein.
Abstract
Objective: The German physician based emergency medical system (EMS) might confront physicians
with advance directives in the field. A multi-question survey was used to evaluate
emergency physicians’ experience with advance directives in the prehospital setting
and to assess their attitudes towards forms and statements of advance directives.
Methods: A questionnaire was mailed to the members of the Association of Emergency Physicians
of Northern Germany („AGNN”), an interest group of emergency physicians, in 2001.
Results: 511 emergency physicians (50,4 % of the AGNN members) filled in the questionnaire
completely and sent it back for evaluation. 75 % of the participants were working
as emergency physicians at present, 72 % had emergency experiences of more than 5
years. One third had previously dealt with advance directives in the prehospital setting.
77 % of these physicians thought advance directives generally helpful.
Nevertheless 88 % based their management on the context of the individual circumstances (e. g. emergency conditions, underlying diseases, expected prognosis), only 7 % said they would always exactly follow the statements of the directive. In the view of the emergency physicians the advance directive should contain information on cardiopulmonary resuscitation (CPR: 88 %), intensive care-treatment (75 %) and preclinical emergency treatment (55 %). Information on underlying diseases (87 %) and a legal substitute (84 %) should be contained as well.
As formal requirements, 47 % of the physicians wanted the family doctor to be involved, 49 % desired a notary authenticity confirmation, additionally or solely.
Pragmatically, the advance directive should be kept with the personal documents (84 %).
A regular reconfirmation was deemed necessary (twice to once a year: 64 %). The current
legal situation was regarded as unclear by 81 % of the emergency physicians, 85 %
favored a unique, officially authorised type of directive.
Conclusion: The high number of returned questionnaires shows the importance of the topic „advance
directives” for emergency physicians. Despite some practical and legal problems, a
big majority of the experienced emergency physicians in this survey thought the advance
directives in the prehospital setting to be helpful. A clear statement on resuscitation
as well as simplification of the many existing types of directives are the most essential
requirements demanded by the emergency physicians. A solution could be the creation
of an extra „emergency advance directive”.
Schlüsselwörter
Patientenverfügung · Notarzt · präklinische Notfallmedizin · Wiederbelebung · Notfallverfügung
Key words
Advance directive · emergency physician · prehospital setting · CPR · emergency advance directive
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Prof. Dr. med. Michael Mohr
DIAKO Ev. Diakonie-Krankenhaus Bremen
Gröpelinger Heerstraße 406 · 28239 Bremen
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